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Ueber Gott und die Welt

Ueber Gott und die Welt

Titel: Ueber Gott und die Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Spaemann
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entgegengesetzte Positionen einander immer bewusstlos reproduzieren.
    Was den Inhalt der Menschenrechte betrifft, so macht sich hier die gleiche Dialektik bemerkbar. In der deutschen Verfassung wird die Würde des Menschen für unantastbar erklärt. Die Achtung vor dieser Würde wird nicht durch irgendeine gesetzliche Einschränkung begrenzt.
    Das Recht auf Leben dagegen ist zwar auch unbegrenzt, insoweit es für jedes menschliche Wesen gilt, beginnend mit seiner Empfängnis. Aber dieses Recht ist nicht genauso absolut wie die Unverletzlichkeit der Menschenwürde. Es wird als Konsequenz dieser Würde betrachtet, aber nicht als gleichrangig zu dieser.
    Es gibt Fälle, in denen die Gesellschaft das Recht hat, von Soldaten, Polizisten oder Feuerwehrleuten zu verlangen, ihr Leben zu riskieren. Und die Völker haben immer diejenigen geehrt, die ihr Leben für andere hingegeben haben. Gerade durch die Hingabe ihres Lebens haben sie ihre Würde bewiesen.
    Die eigene Würde preiszugeben kann von niemandem verlangt, ja nicht einmal akzeptiert werden. »Das Leben ist der Güter höchstes nicht. Der Übel größtes aber ist die Schuld.« (Schiller)
    Kehren wir zurück zum Thema der zwei Vernunftinteressen. Zunächst Kant. Im dritten Abschnitt des Kapitels über die Antinomien der reinen Vernunft in seiner »Kritik der reinen Vernunft« unterbricht Kant den Gedankenfaden durch eine Reflexion über »das Interesse der Vernunft in diesem ihrem Widerstreite«. Es handelt sich für Kant um den Konflikt zwischen »Dogmatismus« und »Empirismus«. Es geht mit dieser Debatte ebenso wie mit allen großen philosophischen Debatten: Ihr Resultat hängt vor allen Dingen ab von der Verteilung der Beweislast. Aber wie entscheidet man über diese Verteilung? Das wiederum hängt ab von dem, was man als normal betrachtet, als evident, als »selbstverständlich«.
    Keine Argumentation beginnt ab ovo. Leibniz, der wusste, was ein Beweis ist, schreibt einmal, jeder Beweis sei eine
demonstratio ad hominem
, das heißt eine Demonstration, die schon etwas als zugestanden voraussetzt. Und das kann von einer Person zur anderen variieren. Kant schlägt vor, den Grund dieses Konflikts aufzuklären, eines Konflikts zwischen zwei Weltanschauungen, eines Konflikts, der unlösbar zu sein scheint. Und er findet diesen Grund in zwei unterschiedlichen Interessen des Menschen.
    Beides sind Interessen der Vernunft selbst. Daher sind beide Interessen legitim. Was sind diese Interessen? Hinterdem Dogmatismus, das heißt hinter den Ideen einer metaphysischen Kosmologie, gibt es nach Kant das praktische Interesse jedes rechtschaffenen Menschen, das Interesse an Religion und Moral, die ihrer Fundamente beraubt zu werden scheinen durch die empiristischen Antithesen. Das empiristische Interesse ist dagegen »spekulativ«. Es ist das Interesse an den Bedingungen der wissenschaftlichen Forschung, unbegrenzter Forschung, deren Fortschritte immer durch die Erfahrung kontrollierbar sind.
    Das Interesse des Metaphysikers als »praktisch« zu charakterisieren und das des Empiristen als »spekulativ« scheint uns seltsam. Wir wären eher geneigt, die beiden Prädikate umzukehren. Aber das Wort »praktisch« betrifft bei Kant nicht die Frage: »Was soll ich tun, um ein gegebenes Ziel zu erreichen?«, sondern »Welches sollen meine Ziele sein?« oder: »Welche Mittel sind mir erlaubt, um meine Ziele zu erreichen?«
    Der erste Gesichtspunkt wird spekulativ genannt, das heißt theoretisch, weil die Frage, wie ich ein gegebenes Ziel erreiche, in Wirklichkeit eine theoretische Frage ist, eine Frage nach der Struktur der Welt, nach den Naturgesetzen, von denen die Antwort auf diese Frage abhängt. Die Moral dagegen betrachtet die menschliche Praxis als Praxis.
    Gewiss, es gibt auch auf der Seite des Dogmatismus ein spekulatives Interesse, denn der Empirismus, der einen unbegrenzten Weg der Forschung eröffnet, liefert uns dem
apeiron
aus, dem Unbegrenzten oder Unendlichen, was von der Philosophie von ihrem Anfang an verabscheut wurde. Die Vernunft wird zufriedengestellt mit der Idee eines absoluten und bedingungslosen Anfangs, der darüber hinaus den Vorteil der Popularität hat.
    Der Empirismus eröffnet ein unbegrenztes Feld für wissenschaftliche Forschung und infolgedessen für progressiveNaturbeherrschung, indem er die Vernunft daran hindert, über die Grenzen der Erfahrungen hinaus auszuschweifen.
    Ich schlage vor, die kantische Definition der beiden Interessen zu reformulieren

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