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Über jeden Verdacht erhaben

Über jeden Verdacht erhaben

Titel: Über jeden Verdacht erhaben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jan Guillou
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sich aber in den Kopf, steife altmodische Manieren an den Tag zu legen und von ihrer Umgebung zu verlangen, daß jeder so auftrat, wie es früher einmal üblich war. Das konnte zum Beispiel bedeuten, daß sie plötzlich verlangte, von allen mit »Tante« angeredet zu werden. Oder sie hielt demonstrativ auf Etikette oder andere Umgangsformen, womit sie bei allen Anwesenden Irritationen auslöste.
    Und in ihrer derzeitigen Lage hätte sie eine besonders gute Möglichkeit gehabt, das Essen zu dominieren und Feierlichkeit und Verstimmung zu verbreiten. Trauer läßt sich nicht einfach ignorieren. Ihr Sohn war vor kurzem Witwer geworden, und ihre beiden Enkelkinder waren ums Leben gekommen. Und um allem Elend noch die Krone aufzusetzen, fand sie sich mit einem Begleitwagen ein, in dem zwei Personen saßen, die sie die beiden »Wachtmeister« nannte, die sie neuerdings überall mit sich herumschleppen müsse. Sie hatte jedoch versichert, daß »die Wachtmeister« keine Umstände machen würden, da sie ihnen befohlen habe, in ihrem Wagen zu bleiben oder möglicherweise im Schloßpark spazierenzugehen, falls ihnen danach zumute sei, jedoch dürften sie nicht in Sichtweite des Hauses urinieren.
    Die Gastgeberin war absolut davon überzeugt, daß Estelle Hamilton die Sicherheitspolizei des Landes so herumkommandieren konnte und daß man ihr sofort gehorchte. Estelle Hamilton hatte sich nämlich ihr ganzes Leben lang bei allen sofort Gehorsam verschafft, möglicherweise mit Ausnahme ihres Sohnes.
    Auch das war eine quälende Komplikation. Alle Anwesenden an der Tafel wußten, daß sie in den letzten Jahren nur selten Kontakt mit ihm gehabt und daß er sie sogar in seiner Trauer auf Abstand gehalten hatte. Die Gastgeberin hatte die Angstvorstellung gehabt, daß irgendein Idiot vielleicht auf die Idee kam, die Stimmung aufzulockern, die vielleicht düstere Stimmung nach einer mißglückten Jagd, nach der die Angestellten immer noch nach irgendeinem weidwund geschossenen Tier suchten, obwohl man schon längst zu Tisch saß, und fröhlich nach ihrem Sohn fragte. Oder, noch schlimmer: daß jemand sein tiefes Mitgefühl in dieser schweren Stunde ausdrückte, und so weiter.
    Die Gastgeberin hatte lange nachgedacht, bevor sie einen ihrer besten Freunde, Blixen, als Tischherrn Estelle Hamiltons unterbrachte. Es war unmöglich, daß jemand Blixen nicht mochte, nicht einmal normale Leute in der Stadt. Blixen konnte sogar von seinen Gästejagden erzählen und seiner Methode, die Schüsse auf Enten zu zählen, ohne daß es langweilig wirkte.
    Insoweit war aus Sicht der Gastgeberin alles gut, sogar sehr gut, als sie wie ein Habicht am schmalen Ende des langen Tischs saß und darüber wachte, daß sich alle teuflisch gut amüsierten.
    Ihr war aber auch klar, daß keiner ihrer Gäste auf die verdrehte Idee kommen würde, während des Essens eine Pause zu machen, vielleicht zwischen zwei Gerichten, um in Erfahrung zu bringen, wie die Volksabstimmung verlaufen war. Die Gäste hatten immerhin alle von Geburt und aus ungehemmter Gewohnheit, wie der Mittelstand aus irgendeinem Grund zu sagen pflegte, so viel Respekt vor dem Essensritual, daß sie weder Ungeduld zeigten oder gar – noch schlimmer – das Thema zur Sprache brachten. Dabei wollten alle wissen, wie es ausgegangen war. Sie waren alle davon überzeugt, daß soeben über ihr Leben und ihre Zukunft entschieden worden war; es ging um staatliche Subventionen Schwedens oder die bedeutend großzügigeren EU-Subventionen, wenn man auf dem fruchtbarsten Boden Schwedens keine Landwirtschaft betrieb.
    Doch an diesem Tisch würde niemand auf die Idee kommen, darüber zu sprechen. Im Gegenteil, man widmete sich mit fast übertriebenem Enthusiasmus dem kollektiven Jagderfolg.
    Der Habichtsblick der Gastgeberin suchte die Tafel ab. Die Sache mit der Doppelgräfin hatte sie geregelt. Es sah gut aus. Dabei hatte sie Johan Klingspor die Lage in vielleicht überdeutlichen Worten erklärt:
    »Teufel auch, Johan, du bist doch immerhin Immobilienmakler. Da muß es dir gelingen, jeden Menschen zu charmieren. Du mußt mir in dieser Sache helfen. Halte sie bei Laune. Ich verspreche dir, daß du beim nächsten Mal eine der Freundinnen der Jungs als Tischdame bekommst, wenn du mir diesen Gefallen tust.«
    Der Mann entledigte sich seiner Aufgabe, und es war gleichgültig, ob aus Loyalität und Freundschaft oder aufgrund der Zusage, beim nächsten Mal eine fünfundzwanzigjährige Blondine als Tischdame zu

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