Das Vermächtnis des Kupferdrachens ("Drachenkronen"-Trilogie) (German Edition)
Prolog
Cleo, gib mir doch mal den kleinen Metallstift, der dort in die Ecke gerollt ist.«
Die Katze dachte gar nicht daran. Träge hob sie das linke Augenlid ein wenig und gähnte herzhaft.
»Sei doch nicht so faul«, schimpfte Inthan und kroch unter der mächtigen Eisenstatue hervor, die ziemlich wackelig auf zwei Steinquadern lag. Auf den Knien robbte er in die Ecke und hob den kleinen, grau schimmernden Gegenstand auf. Geschäftig verschwand er wieder unter der Statue.
Die nächste Stunde waren nur sein Stöhnen und einige Schimpfwörter zu hören, dann kam er verschwitzt und zerzaust wieder zum Vorschein.
»Nein, das funktioniert so nicht. Ich frage mich, warum ich mich immer wieder auf den blöden Spiegel verlasse. – Du brauchst gar nicht so zu gucken. Ich habe es genau beobachtet. Da haben zwei Männer so einen Koloss gebaut und ihn zum Leben erweckt. Er konnte nachher herumlaufen und hat ihre Befehle ausgeführt! – Aber wahrscheinlich ist die Zeit für solche Erfindungen noch nicht reif. Der Spiegel ist sicher mal wieder in die ferne Zukunft abgeschweift.« Der Magier zog sich mit einem Ächzen hoch und klopfte seine an vielen Stellen geflickte Kutte, sodass eine Staubwolke aus ihr aufstieg. Die Katze zog sich in die andere Ecke des steinernen Gelasses zurück und nieste.
»Nun gut«, rief Inthan, »dann eben auf die althergebrachte Weise: mit Magie.«
Der Alte eilte in den Raum, den er sich als Experimentierkammer eingerichtet hatte. Er war tagelang so beschäftigt, dass Cleo ihn böse anfauchen und sich ihm in die Waden krallen musste, wenn sie etwas zu fressen wollte. Undeutlich vor sich hin murmelnd saß Inthan in seinem Studierzimmer und starrte auf das grünlich schillernde Gebräu, das da in einem Kolben träge vor sich hin köchelte. Immer wieder zog er die mächtigen Folianten zu Rate, die er in einem bibliothekartigen Raum des unterirdischen Labyrinths entdeckt hatte, das er – gezwungenermaßen – seit dem Angriff der Drachen auf die Stadt Xanomee vor mehr als viertausend Jahren zusammen mit Cleo bewohnte. Die Welt und die Zeit hatte die beiden Kreaturen vergessen. Nur der Spiegel verband sie mit der Außenwelt, in der die Zeit fortschritt.
Inthan wog Zutaten ab, ließ die Flamme mal grün, mal violett aufflackern und rannte jedes Mal gehetzt durch die Gänge, wenn er etwas Wichtiges nicht finden konnte. Nach einigen Wochen schließlich kehrte er mit äußerst zufriedener Miene in die Halle mit dem magischen Spiegel zurück.
»So Cleo, jetzt pass mal gut auf.«
Inthan goss die Flüssigkeit über die eiserne Statue, krempelte seine Ärmel hoch und begann, die Arme theatralisch auf und ab zu bewegen. Fremd klingende Worte strömten aus seinem Mund, schwebten hernieder und schmiegten sich um die Statue. Blaue Funken sprühten auf. Gelangweilt beobachtete die Katze das Spektakel, doch plötzlich sträubten sich ihr die Haare, und sie fauchte furchtsam. Der Koloss begann sich zu bewegen. Ganz langsam drehte er sich zur Seite, zog die Beine an, erhob sich und blieb dann erstarrt stehen. Die Katze blinzelte verwirrt. Hatte sie geträumt?
Inthan gebärdete sich wie verrückt und tanzte um das eiserne Ding herum. »Ha, ha, ich habe einen Golem erschaffen! Nun habe ich einen gehorsamen Diener, dem ich alles befehlen kann.« Der Magier hob die Katze auf den Arm, die abwehrend die Krallen ausstreckte, als er sie näher zu dem Golem herantrug.
»Keine Angst, er tut dir nichts. Pass auf, ab jetzt holt er dir dein Fressen.«
Inthan konzentrierte sich auf die durch Magie belebte Statue und gab ihr den ersten Befehl. »Geh in die Küche und hol Cleos Fressen.«
Der Koloss drehte sich um und ging mit langen Schritten hinaus. Das Echo seiner Schritte hallte den Gang entlang und verklang in der Ferne. Eine ganze Weile geschah nichts. Er blieb verschwunden.
»Jetzt muss ich aber sehen, wo er bleibt.« Inthan raffte sein Gewand und eilte seinem stummen Diener nach, Cleo folgte neugierig. Endlich fand der Magier den Golem, der ziellos von einem Raum in den nächsten schritt.
»Ach, ist der dumm!« Inthan schüttelte den Kopf. »Ich muss ihm wohl erst beibringen, was ›Fressen‹ und ›Küche‹ bedeuten. – He, lach nicht! Immerhin habe ich ihn bereits dazu gebracht, dass er gehen kann. Alles andere wird er im Laufe der Jahrhunderte schon noch lernen. Wir haben ja Zeit«, Inthan seufzte schwer, »so schrecklich, unendlich viel Zeit.«
Der rote Drache
Warum geht das alles nur so langsam?«
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