Über Morgen
jeder alles über jeden anderen weiß und dass das alle völlig in Ordnung finden. Ja, sich sogar unbändig darüber freuen. Nach wie vor einzigartig und individuell, und doch auch Teil eines größeren Geistes – eines kollektiven Bewusstseins, das sich endlich so weit entwickelt hat, dass es die Hand ausstreckt und endlich die anderen dort draußen findet.
Ich habe lange gezögert. Aber nun ist es genug. Ich wollte einfach – keine Ahnung –, ich wollte etwas genauso Bedeutendes tun wie mein Vater. Eine Spur hinterlassen. Anerkannt werden, belobigt, ja sogar belohnt für etwas, was ich getan habe, ich allein.
Das war nur noch hier möglich. Und wie jeder persönliche Erfolg kann es mir auf lange Sicht nur eins einbringen: dass ich noch länger allein bleibe.
Also werde ich jetzt aufhören. Jahre später, nehme ich an, als ich es hätte tun müssen. Aber nach meinem Zeitempfinden durchaus nicht zu spät. Und diesmalbleibe ich wirklich dabei. Das ist mein letzter Arbeitstag. Ich werde den Rechner abschalten, das Licht ausmachen und zu dieser Tür hinausgehen.
Diesmal werde ich es tun. Ich weiß es.
„The Mercy Dash“
Aus dem Englischen von Gabriele Turner
Ray Hammond
„ I ch drehe nur vier Runden, Liebling“, versprach Hélène, als sie sich von der Strandliege hochreckte. Sie beugte sich unter den Schatten des Sonnenschirms und gab ihrem frisch angetrauten Ehemann einen Kuss auf die Wange.
Er blickte lächelnd zu ihr hoch. „Pass auf dich auf“, antwortete er.
Am Landesteg wartete schon das Schnellboot, dessen altmodischer Dieselmotor im Leerlauf leise ratterte. Das frisch verheiratete Paar befand sich in einem der angesagtesten Strandclubs von ganz Frankreich: im Club 55 am Strand von Pampelonne nahe St. Tropez, der sein außerordentlich exklusives Image schon seit mehr als 75 Jahren zu wahren verstand. In den Anfangsjahren des Clubs hatten Fürstin Grazia und Brigitte Bardot hier gefeiert. Und jetzt, im Hochsommer des Jahres 2025, versammelten sich noch immer die schönsten Menschen aus ganz Europa an seinem weißen Sandstrand und zahlten schwindelerregende Preise für die Drinks.
Nur wenige der Gäste waren allerdings so schön – oder so elegant – wie die Pariserin Hélène Guenier. Trotz ihrer 56 Jahre zog die große, schlanke Hélène in ihrem Bikini immer noch bewundernde Blicke von Männern und auch vielen Frauen auf sich, als sie nun auf Zehenspitzen vorsichtig über den heißen Sand in Richtung Landesteg ging.
Roger Guenier stützte sich auf den Ellenbogen und beobachtete, wie die Frau, die er vor fünf Tagen geheiratet hatte, dem Fahrer des Schnellboots ihre Wünsche erklärte. Selbst aus einigen hundert Metern Entfernung konnte Roger den Mann lächeln sehen, als Hélènes natürlicher Charme seine Wirkung tat.
Dann verschwand Hélène kurz aus der Sicht, als sie hinter dem alten Holzsteg ins warme Wasser glitt und ihre Ski anlegte. Ein Angestellter des Strandclubs sprang hinterher, um sich zu vergewissern, dass sie auch wirklich fest und sicher saßen. Der Motor heulte leise auf, als der Kapitän startete und langsam vom Steg aufs Meer hinaus fuhr, um die Zugleine zwischen dem Boot und der Skifahrerin zu spannen. Roger wusste, dass seine Frau eine erfahrene Wasserskiläuferin war – seit Beginn ihrer Flitterwochen war sie jeden Tag gefahren –, und er lächelte, als Hélène sich mühelos aufrichtete, ihre langen, schönen Beine streckte und sich zurücklehnte, während das Boot an Fahrt gewann. Er konnte fast selbst das Vergnügen spüren, das seine Frau empfand, als eine Gischtwolke hinter ihren Skiern aufstieg. Die Gläser ihrer großen dunklen Sonnenbrille glitzerten im morgendlichen Sonnenlicht, und ihr gesträhntes blondes Haar wehte in der Brise. In der Ferne, näher zum Horizont hin, lag eine Reihe Riesenjachten vor Anker, aus denen bald die milliardenschweren Eigentümer und ihre Gäste strömen würden, die im Club Cinquante-Cinq zu Mittag essen und sich präsentieren wollten.
Auch andere Gäste am Strand sahen voll Bewunderung zu, als Hélène mit ihrem Lieblingsmanöver begann, einer Achterschleife, und über die Heckwelle des Boots sprang, wenn sie ihren Weg kreuzte. Das strahlende Blau des Juli-Himmels wurde nur von zwei Kondensstreifen von Flugzeugen durchbrochen, die in fast paralleler Formation eilends nach Süden strebten. Am anderen Ende des Strands vollführte das Schnellboot eine weite Drehung, und Hélène legte sich tief in die Kurve, während sie
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