147 - Cardia, die Seelenlose
Der Jahrmarkt beefand sich in Croydon, einem Londoner Vorort. Mutige Artisten jagten auf brüllenden Motorrädern kreuz und quer durch das Innere einer Gitterkugel - der Schwerkraft trotzend und ohne zusammenzustoßen.
Auch ein hübsches, wildes Mädchen gehörte der vierköpfigen Truppe an, die hier die Sensation war. Außer den »Flying Racers«, wie sie sich nannten, gab es nur noch eine Attraktion, zu der sich die Menschen hingezogen fühlten, und das war das orientalisch drapierte Zelt von Madame Cardia.
Sie war Hellseherin, Wahrsagerin, konnte einem die Zukunft Vorhersagen. Obwohl viele das für Humbug und Scharlatanerie hielten, erfreute sich Madame Cardia doch großen Interesses.
Sie las nicht aus der Hand und auch nicht aus dem Kaffeesatz, sondern besaß eine geheimnisvolle Zauberkugel, deren magische Kräfte sie angeblich zu aktivieren vermochte.
Ob es stimmte oder nicht, war von zweitrangiger Bedeutung. Es stand auf jeden Fall fest, daß sich Madame Cardia hervorragend zu verkaufen wußte. So mancher Zweifler verließ tief beeindruckt ihr Zelt.
Im Moment standen die Leute Schlange.
»Nun sieh dir das an«, sagte Bill Landers grinsend zu seiner Freundin. »Alle wollen wissen, wie es wird.« Er erhob die Stimme. »Warum fragt ihr nicht mich, Leute? Ich kann es euch auch sagen. Wir haben die Talsohle hinter uns, es geht allmählich wieder aufwärts. Das sind genau die Worte, die wir von den Politikern in allen Ländern zu hören kriegen. Alles Hellseher…«
Angie Laszlo legte ihm die Hand auf den Mund. »Wirst du wohl still ein?«
Bill lachte hinter ihrer Hand.
»Du hast kein Recht, dich über diese Leute lustig zu machen«, rügte ihn Angie, deren Eltern nach dem großen Aufstand 1956 von Ungarn nach England gegangen waren.
Sie zog ihn mit sich fort. Die Leute warfen ihm mißbilligende Blicke zu.
Er war ein netter Kerl, Angie liebte ihn, aber wenn er getrunken hatte, stänkerte er gern, und das hatte schon zu so manchem Streit geführt.
»Du bist mal wieder unmöglich, ich muß mich mit dir schämen«, sagte Angie finster.
»Wer für diesen Schwindel gutes Geld ausgibt, muß es sich gefallen lassen, daß er auf die Schippe genommen wird«, gab Bill zurück.
Er trug Jeans und eine schwarze Lederjacke mit vielen Reißverschlüssen. Obwohl Bier sein Lieblingsgetränk war, hatte er keinen Bauch, aber den würde er kriegen, wenn er so weitermachte.
»Diese Menschen haben eine Illusion, die du ihnen nicht rauben darfst«, sagte Angie und strich sich eine brünette Haarsträhne aus dem Gesicht.
Sie war einen Kopf kleiner als Bill, aber es störte sie nicht, zu ihm aufblicken zu müssen.
»Ich habe Durst«, sagte er unvermittelt und steuerte einen fahrbaren Kiosk an. »Möchtest du noch ’ne Cola?«
»Nein.«
»Aber ich noch ’n Bier.«
»Hast du nicht schon genug, Bill?«
Er grinste. »Baby, du weißt doch, ich kann nie genug davon kriegen.«
»Du bist schrecklich.«
»Jeder hat eben sein Laster. Der eine rennt hinter jedem Weiberrock her, der andere läßt sich von Madame Cardia etwas vorschwindeln - und bei mir ist es eben das Bier. Weißt du, daß es überaus gesund ist? In dem edlen Gerstensaft ist die gesamte Vitamin-B-Palette enthalten.«
Er kaufte sich eine Dose Bier, riß den Verschluß mit einem Ruck auf, es zischte und spritzte, und er setzte die Dose an, um zu trinken, als wäre er am Verdursten.
»Ah, köstlich«, sagte er, nachdem er die Dose abgesetzt hatte. »Sie ist eine Hexe - sagt man.«
»Wer?« fragte Angie. »Madame Cardia?«
Bill nickte. »Sie soll mal was mit einem Dämon gehabt haben.«
Angie sah ihn mißtrauisch an. Bei Bill konnte sie nie wissen, wie sie dran war. Manchmal redete er den größten Quatsch mit todernster Miene.
»Nimmst du mich auf den Arm?« fragte sie unsicher.
»Das erzählt man sich von Madame.«
»Woher weißt du das denn?«
»Ich war schon mal hier«, antwortete Bill, trank das restliche Bier, wischte sich mit dem Handrücken über den feuchten Mund und warf die leere Dose in eine Abfalltonne. »Das Verhältnis soll nicht ohne Folgen geblieben sein«, fügte er hinzu.
Angies grüne Augen weiteten sich. »Sie hat ein Kind von einem Dämon?«
»So heißt es.«
»Das glaube ich nicht. Du willst mich verkohlen.«
Er rollte die Augen. »Einmal im Leben sage ich die Wahrheit, und ausgerechnet dann glaubt man mir nicht.«
»Ich möchte zu Madame Cardia gehen.«
»Bist du verrückt? Was willst du denn da?«
»Was alle wollen«, sagte
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