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Ueberdog

Ueberdog

Titel: Ueberdog Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joerg-Uwe Albig
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Idee.
    »Ich heiße Sebastian«, sagte er. Es klang nicht wie eine Korrektur, sondern einfach wie eine Vorstellung. »Sebastian Stern. Und Sie?«
    Er sah an seinem Kamelhaarmantel hinab, dann an meinem Trenchcoat, der plötzlich, so kam es mir vor, nur noch aus Flecken bestand; er grinste, grinste sich von Fleck zu Fleck. »Wenn ich uns so ansehe«, sagte er schließlich, »dann müssen wir wohl du zueinander sagen.«
    Sebastian Stern, echote es in meinem Kopf. Ein Name wie aus einem Arztroman; doch so waren sie eben, die Namen der Gewinner. Nach langer Zeit dachte ich wieder an die Legenden, die Gesine Speyerling von dem unbekannten Engel erzählt hatte; von den Guerilla-Aktionen bei der Malmö-Biennale; von den Sammlern und Galeristen, die nachts im Alten Elbtunnel auf ihn warteten, auf der Köhlbrandbrücke oder am Containerterminal, um sich den Zuschlag für seine flüchtigen Werke zu sichern. Ich dachte an seine vielen Namen, an Wotan, Beriberi, Linux und Bang-Cock, und ich fragte mich, ob Sebastian Stern sein Klarname war oder noch ein weiteres Pseudonym.
    Und ich dachte an Schmiddel, den armen Schmiddel, dem seine Ähnlichkeit mit diesem Engel nichts genutzt hatte, der sie nicht einmal kannte und dem sie egal war. An Schmiddel, fürden ein Name nur ein Aufdruck auf einer seiner Visitenkarten war. An Schmiddel, der nie nach oben geblickt hatte, weil die Erde für ihn voll genug war, mit Stolpersteinen, mit Hundehaufen, aber auch Gabba und Abendrot über dem Fluss.
    Ich konnte hören, wie das Gemurmel der Party näher kam; Stimmen flackerten die Treppe hinauf. Ich glaubte, Pamela Nitsch-Merodey zu hören, Meinhard Pavlicek und den satten Tenor von Bobby Amaranth. Ich hörte eine Frauenstimme, die ich nicht kannte: »Sie lebt noch«, sagte sie, leiernd, mit Barmbeker Akzent.
    »Aber was machen wir denn bloß«, fiel die Stimme eines Mannes ein. Es war ein gemütlicher Bass, der nicht zu der Panik passte, zu der Hilflosigkeit, mit der er stammelte: »Ich hab das noch nie erlebt.«
    »Erst mal die Wolldecke rüber«, sagte die Frau. »Und dann eins, eins, zwei. Hier, kannst mein Handy nehmen.«
    Als ich die Augen geöffnet hatte, wollte ich sie gleich wieder zuschlagen. Die beiden Gesichter, in die ich blickte, sahen aus wie Bierdeckel, wie Papiertaschentücher. Es waren Denkmäler der Bedeutungslosigkeit, des verfehlten Lebens. Der Mann trug eine malvenfarbene Steppjacke mit hellblauer Knopfleiste und eine Prinz-Heinrich-Mütze auf dem Kopf, die Frau einen roten Outdoormantel mit gepolstertem Kragen.
    »Können Sie sprechen«, fragte die Frau. Jetzt erst merkte ich, wie ich zitterte unter der Decke, die nach Mottenkugeln und Erbsensuppe roch.
    Von irgendwoher brachte der Mann einen Plastikbecher mit Tee. Die heiße Flüssigkeit lief meine Mundwinkel hinab, meinKinn, mein schwerfällig erwachendes Herz. Die Frau übernahm den Becher, und der Mann ging zum Straßenrand, spähte angestrengt nach links, wo sich das Geheul eines Martinshorns näherte.
    »Sie wissen, dass Sie Glück gehabt haben«, sagte die Frau. Ihre Stimme klang reif, ein fetter, alter Camembert. »Manchmal schickt der Herr seine Engel aus.« Und sie führte ihr käsiges Gesicht so nah an meine Augen, dass ich unwillkürlich anfing zu schielen.
    »Kennen Sie die Heilige Schrift«, fragte sie, mit Mundgeruch und unangenehm bekümmertem Unterton.
    Als hätte er sein Stichwort gehört, stellte sich jetzt der Mann neben die Frau. Streng, als müsste er einen Ekel bezähmen, schaute er auf mich herab. Dann bückte er sich, um einen Stapel Hefte aufzuheben, die sich, hastig abgelegt, neben mir auf dem Pflaster türmten. »Erwachet!« stand auf den Heften, »Ontwaakt!« und »Réveillez-vous!«.
    »Ontwaakt«, quakte ich schwach und kicherte in mich hinein.
    Die Kommandos überforderten mich; jetzt schloss ich wirklich die Augen. Am liebsten hätte ich auch die Ohren geschlossen. Wenn das der Wachzustand war, wollte ich nur noch schlafen.
    Ich wollte nichts hören, dachte ich. Während diese Menschen noch glaubten, wusste ich längst. Ich hatte sogar fotografische Beweise. Ich tastete nach meiner Kamera, griff mit schwachen, langsam erwachenden Händen an meine linke Hüfte, dann an die rechte; ich konnte nichts finden.
    Ich ließ mich zurücksinken. Dann spürte ich, die Augen geschlossen, wie vier Hände mich packten, vom nasskalten Pflasteraufhoben und auf eine Trage legten, wie sie an meinen Beinen zerrten, die noch etwas zögerten, sich auszustrecken.

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