Ueberdog
ihre unverständlichen Sätze; in mir spürte ich eine Unverständlichkeit, die selbst ihnen Ehrfurcht einjagen würde.
Ich fühlte, wie ich leichter wurde. Es war, als würde ich selbst zum Bild, zur wirkmächtigen Vorstellung. Ich merkte, wie eine Allgemeingültigkeit in mir wuchs, eine exemplarische Qualität.
Nachts nahm ich jetzt mit allem vorlieb, was mir meine Umgebung bot. Was die Welt, was das Leben für mich vorsah, war mir recht; eine Bank im Schanzenpark, ein Strandkorb am Falkensteiner Ufer, ein mild schwankendes, sicher vertäutes Segelboot auf der Außenalster. Vom Lüftungsschacht der U-Bahn-Station Mundsburg vertrieb mich ein Mann in einer pinkfarbenen Outdoorjacke; er hatte einen graumelierten Kinnbart und die Statur einer Telefonzelle. »Das ist mein Platz«, sagte er mit mächtiger Stimme. Sein linkes Auge zwinkerte; ich wusste, dass es keine Nervosität war. Ruhig packte er meine Sachen zusammen, türmte sie im Einkaufswagen zu einem präzisen Stapel.
Ohne Widerrede räumte ich das Feld. Erstaunt stellte ich fest, wie gleichgültig mir Orte geworden waren. Vielleicht war das schon die Ortlosigkeit der Engel, die auf dem Rathausmarkt wachen können und zugleich im Andromedanebel, immer aufmerksam, doch immer auf Abruf. Auch ich horchte auf diesen Abruf, der aus jeder Richtung kommen konnte; in mir war eine ruhige Selbstverständlichkeit, die keinen Zweifel kannte.
Im Parkhaus an der Drehbahn legte ich mich auf Kühlerhauben, die noch warm waren. Aus einem Papierkorb an der Spaldingstraße, nicht weit vom Jobcenter, zog ich ein Bündel Rosen; sie waren gelb mit feurig orangefarbenen Spitzen. Kühn entschied ich, dass die Blumen ein Geschenk an mich waren; siewaren noch in Papier eingeschlagen, und die Stiele waren noch nass. Ich setzte mich auf die Treppe, die zu einem Hauseingang führte; ich blätterte die Rosen aus der Folie, hielt sie eine Weile andächtig in beiden Händen. Sie fühlten sich an wie eine Waffe, die Waffe der Schönheit.
Am Gänsemarkt rollte ich mich im Vorraum einer Bank zusammen. Ich machte es mir bequem zwischen Geldautomaten; ich hatte nie etwas gegen Reichtum gehabt. Manchmal brauchte ein Enttäuschter, dem der Automat das Geld verweigert hatte, meinen Trost. Manchmal weckte mich die Polizei, und ich setzte meinen Schlaf in einer Zelle fort. Manchmal blickte ich in drohende Gesichter – rachsüchtige Fußballfreunde oder eine verzweifelte Männerrunde, die über die Hochzeit eines ihrer Mitglieder trauerte. Wenn ich ihnen die Rosen entgegenstreckte, gaben sie Ruhe. Dann nahm ich meine Sachen, trollte mich und nahm die nächste Einladung an, die die Stadt an mich aussprach. Die Rosen trug ich bei mir, bis sie verwelkten. Ein Ort war wie der andere, der Äther überall gleich.
Ich gewöhnte mich an den heiligen Schrecken, den ich erzeugte. Wenn ich mich in der U-Bahn nach einem freien Platz umsah, löste ich Unruhe aus, zogen sich Schultern zusammen, drehten sich Köpfe zur Seite. Arme verschränkten sich vor jeder Brust. Blicke senkten sich, vergruben sich in Bücher, Zeitungen und Rätselhefte. Hier und da erhob sich ein Mann im billigen Anzug oder eine Frau in einer Kunstlederjacke mit Knitterlook, um sich einen Fluchtweg zu sichern.
Ich hatte die freie Auswahl. Ich besetzte einen Fensterplatz in der Mitte des Waggons. Ich verzichtete sogar darauf, die Füße auf den Sitz gegenüber zu legen, der zuverlässig frei blieb. ZwischenRödingsmarkt und Landungsbrücken schwebte ich dreißig Meter über dem Boden, sah aus dem Fenster, unter mir Bürohäuser, Ladenzeilen, Kräne; das kleine Streben der Welt. Um mich herum flüchteten Menschen, um mir zu entkommen, in ihre Telefongespräche; ich hörte wahnwitzige Dialoge, Dokumente einer großen, abgrundtiefen Verwirrung.
»Eigentlich war er ja ganz süß, aber –«, sagte ein junges Mädchen mit hoher, roter Stirn.
»Wenn ich das gewusst hätte«, kam die Antwort, irgendwo hinter mir.
»Schau einfach noch mal nach«, empfahl ein Dritter. »Auch unter dem Wäschestapel auf der Waschmaschine.«
»Wie geil ist das denn«, staunte das Mädchen.
»Hauptsache, die Präsentation klappt«, mischte sich ein Kräftiger mit wuchtigen Koteletten ein.
»Also«, wies ihn das Mädchen zurecht, »das geht schon mal gar nicht.«
Als ich mich zum ersten Mal einnässte, saß ich auf einem Poller an den Landungsbrücken. Es war vielleicht zehn, elf Uhr vormittags, der Himmel wollig und weich, von einem bunten, reich geschichteten
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