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Ueberdog

Ueberdog

Titel: Ueberdog Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joerg-Uwe Albig
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Grau. Lächelnd legte ich den Kopf in den Nacken; die Wolken sahen aus wie Start- und Landebahnen. Eine Barkasse zog Kreise, beschrieb einen Rechtsbogen, tauchte den Bug ins Wasser und stieg wieder aus den Wellen.
    Ich fühlte keine Scham, keinen Schrecken, nur Staunen über das neue Gefühl. Ich dachte an Amy, die sich in meinen Armen eingenässt hatte; wenn sie sich für das Nässen entschieden hatte, nässte ich auch. Aufmerksam spürte ich der Feuchtigkeitnach, die sich ausbreitete, über die Innenseite der Schenkel, über die Außenseite die Waden hinab. Wie eine Hautschicht klebte die Hose auf den Knochen; sie schützte und legte zugleich das Innere bloß. Und ich verspürte ein Gefühl der Stärke, der absoluten Selbstherrlichkeit, die auf niemanden mehr Rücksicht zu nehmen braucht.
    Ein Irish Setter schnürte die Kaimauer entlang. Freundlich wedelte er mit dem Schwanz, sah mich mit warmen braunen Augen an. Mit gereckter Schnauze schnüffelte er an meinen Beinen entlang. Vergebens rief die Besitzerin hinter ihm her; kurz blickte er sich um, dann setzte er seine Untersuchung fort. Ich sah die Frau in ihrem cremefarbenen Übergangsmantel; es sah aus, als hielte sie sich am Fischbrötchenstand fest, dessen Magnetismus sie daran hinderte, näher zu kommen.
    Wieder und wieder rief sie: »Merkur.« Erst rief sie streng, dann flehte sie; sie blieb in sicherer Entfernung. Merkurs Ohren wirbelten nervös, aber er blieb vor mir stehen; ich hörte sein lebendiges, trauliches Schnaufen. Erst als die Frau sich umdrehte und Richtung Landungsbrücken marschierte, als sie schon hinter dem Café Elbterrassen verschwunden war, hob er ruckartig den Kopf und preschte los. Er galoppierte über das Pflaster; erst in weiter Entfernung sah ich ihn bremsen. Dann sah ich, wie er wedelnd und mit gesenktem Kopf seiner eifersüchtigen Herrin entgegenschlich.
    Und, um es kurz zu sagen, alle Sinnesempfindungen und die vielen Glieder der unvernünftigen Tiere können auf immaterielle Erkenntnisse himmlischer Wesen hindeuten .Das Vertrauen der Tiere gab mir ein Gefühl der Überlegenheit. Eichhörnchen strichen um meine Beine. Waschbären halfen mir, Papierkörbe nach Beute zu sortieren. Dann kamen die Tauben, hüpften neben mich auf die Parkbank, pickten pochend auf dem Pergamentpapier herum, teilten mit mir ein verstoßenes Schulbrot. Füchse begleiteten mich, liefen voraus, blieben zurück, bis ich zu ihnen aufschloss. Saatkrähen und Eichelhäher legten bei meinem Anblick verstehend die Köpfe schief. Maulwürfe gruben für mich das Erdreich um, machten es weich und porös. Steinmarder nagten mir in den Kleingartenkolonien den Weg in die Lauben frei, und im Jacobipark präsentierte mir eine Wildschweinbache ihre Frischlinge, von Frau zu Frau.
    Ich begann, mich mit ihren Gewohnheiten anzufreunden. Von den Wildschweinen lernte ich, Schnecken zu knacken; von den Füchsen lernte ich die Vorteile von Bauwagen zu schätzen. Besonders fühlte ich mich den Ratten zugetan; ich war gerührt von ihren klugen Augen, ihren feinen, schlanken Fingern. Witternd richteten sie sich auf, spitzten die Ohren, wenn ich zu ihnen sprach.
    »Lasst euch nichts einreden«, sagte ich zu ihnen. »Auch Tiere haben Engel. Scheu sind sie wie ihr; es gibt Engel, die vier Flügel haben wie die Vierflügler, und es gibt Engel in Kugelform, wie der Seeigel oder das Gürteltier. Es gibt hundert Myriaden für den ersten Himmel und ebenso viele für den zweiten, dritten, vierten, fünften und siebten Himmel . Das heißt: Es gibt mehr Engel als Menschen. Und das ist der Beweis dafür, dass die Engel nicht für die Menschen allein da sind.«

26
    Schon in der ersten Oktoberwoche kam der Winter. Die Kälte schnitt durch meinen Trenchcoat; leichter Schneefall, schon abends Bodenfrost. Ich horchte in meinen Magen hinein; das Knurren hörte sich nicht mehr an, als käme es aus mir. Nicht einmal mein Magen schien noch körperlich zu sein; er war zu einem stolzen, luftgeblähten Ballon geworden, der irgendwo über mir schwebte, an einer langen Leine, die der Wind kräuselte und straffte.
    Für ein paar Tage fand ich eine Unterkunft in einem nachlässig gesicherten Gartenhäuschen in einer Lokstedter Kolonie; im Schlafzimmer Stapel einer vergessenen Lifestyle-Zeitschrift. Blätternd lag ich auf dem Schlafsofa und schaute die Engel, las einen Satz über Élodie Bichet: »Privat bildet sie mit ihrem Lebenspartner Serge Gonchareff, dem Regisseur von ›Enrichissezmoi‹ und Exgatten Gail

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