Überflieger - Warum manche Menschen erfolgreich sind und andere nicht
Fragebogen beantworten. Und
jetzt wird es spannend: Diese Rangfolge beim Ausfüllen des Begleitfragebogens entspricht fast exakt der Rangfolge der Länder
beim eigentlichen Leistungsvergleich in Mathematik. Mit anderen Worten: Diejenigen Kinder, die bereit sind, lange genug still
zu sitzen und jede einzelne Frage eines schier endlosen Fragebogens zu beantworten, sind genau die Kinder, welche die Mathematikaufgaben
am besten lösen.
Der Erziehungswissenschaftler Erling Boe von der University of Pennsylvania stolperte eher durch Zufall über diesen Zusammenhang.
»Es kam wie aus heiterem Himmel«, erzählt er und gesteht, er habe diese Erkenntnis bislang nicht veröffentlicht, da sie ihm
einfach zu merkwürdig vorkam. Um es ganz deutlich zu unterstreichen |218| : Boe behauptet nicht etwa, dass zwischen der Fähigkeit, einen Fragebogen auszufüllen, und der Fähigkeit, einen Mathematiktest
erfolgreich zu absolvieren, ein Zusammenhang besteht. Er behauptet vielmehr, dass es sich um ein und dieselbe Fähigkeit handelt.
Um es noch ein wenig deutlicher zu machen: Stellen Sie sich vor, Jahr für Jahr fände in einer der großen Metropolen der Welt
eine Mathematik-Olympiade statt, zu der jedes Land 1 000 Achtklässler entsendet. Boe behauptet, wir könnten vorhersagen, wie
die einzelnen Länder abschneiden werden, ohne auch nur eine einzige Mathematikaufgabe zu stellen. Wir müssten nur eine Aufgabe
stellen, mit deren Hilfe sich messen lässt, inwieweit die Teilnehmer bereit sind, diszipliniert zu arbeiten. Aber wir müssten
ihnen nicht einmal diese Aufgabe stellen. Wenn wir vorhersagen wollten, welches Land bei der Mathematik-Olympiade am erfolgreichsten
abschneidet, müssten wir uns nur ansehen, welche Kultur Disziplin und Leistungsbereitschaft den höchsten Stellenwert beimisst.
Die TIMSS-Studie hat also keinen Überraschungssieger: An der Spitze liegen Singapur, Südkorea, Taiwan, Hongkong und Japan.
Diese fünf Länder wurden gleichermaßen durch die Tradition des Nassreisanbaus und der sinnvollen Arbeit geprägt. 30 Das sind |219| Länder, in denen arme Bauern seit Jahrhunderten 3 000 Stunden pro Jahr auf ihren Reisfeldern schuften und Sprichwörter geprägt
haben wie: »Wer an 360 Tagen im Jahr vor Sonnenaufgang aufsteht, kann gar nicht anders, als seine Familie reich zu machen.« 31
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In internationalen Vergleichstests liegen Japan, Südkorea, Hongkong, Singapur und Taiwan ungefähr gleichauf bei 98 Prozent,
die Vereinigten Staaten, Frankreich, England, Deutschland und andere westliche Industrienationen dagegen bei 26 bis 36 Prozent.
Das ist ein ganz erheblicher Unterschied.
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Lynns Behauptung, Asiaten hätten einen höheren Intelligenzquotienten, wurde überzeugend von verschiedenen Experten widerlegt,
die zeigen konnten, dass er sich in seinen Untersuchungen hauptsächlich auf städtische Familien der Oberschicht bezog. James
Flynn, einer der führenden Intelligenzexperten, stellte die ebenso kontroverse Gegenthese auf, nach der Asiaten historisch
einen niedrigeren Intelligenzquotienten hätten als Europäer, was bedeuten würde, dass sie ihre Überlegenheit auf dem Gebiet
der Mathematik trotz und nicht wegen ihres Intelligenzquotienten erworben hätten. Flynn vertritt diese These in seinem Buch
Asian Americans: Achievement Beyond IQ
(1991).
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Hierzu zwei kleine Anmerkungen: Erstens ist die Volksrepublik China nicht auf dieser Liste vertreten, da sie nicht an der
TIMSS-Studie teilnimmt. Da jedoch Taiwan und Hongkong auf den Spitzenplätzen vertreten sind, darf man davon ausgehen, dass
die Schüler der Volksrepublik China ähnlich gut abschneiden würden.
Vielleicht noch wichtiger ist jedoch die Frage, wie es sich mit dem Norden Chinas verhält, wo es keinen Nassreisanbau gibt,
sondern die Kultur wie in Westeuropa traditionell vom Weizenanbau bestimmt wird. Zeigen die Nordchinesen ähnlich gute Leistungen
in Mathematik? Wir wissen es nicht. Der Psychologe James Flynn weist jedoch darauf hin, dass die überwiegende Mehrheit der
im Westen lebenden Auswanderer – die hier so gute Leistungen in Mathematik vorweisen – aus Südchina kommt. Die chinesischstämmigen
Studenten, die an Universitäten wie dem MIT hervorragend abschneiden, haben ihre Wurzeln überwiegend in der Region des Perlflusses.
Flynn verweist jedoch auch darauf, dass unter den chinesischstämmigen Amerikanern die sogenannten Sze Yap bei Mathematiktests
am schlechtesten abschneiden. Die
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