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Uebergebt sie den Flammen

Uebergebt sie den Flammen

Titel: Uebergebt sie den Flammen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tilman Röhrig
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ort ging der Fremde, den Kopf erhoben, fester Schritt, ohne sich umzusehen, ohne Vorsicht bog er in die dunkle Herzogstraße ein.
    Nach vorn springen, nur zwei Sätze, schon bin ich hinter ihm, packe seine Schultern. Er würde zusammenfahren. Doch, er muss sich erschrecken, jeder der Unrecht begeht, muss in Angst leben. Auf die Knie würde ich ihn zwingen, bis er die Bücher herausgibt.
    In diesen Gedanken hinein atmete Johann, richtete den Oberkörper auf, löste sich von den Hauswänden, ging so sicher wie der Mann, den er seit Stunden verfolgte. Längst war das Mittagsläuten vorüber, längst hatte der Fremde die Gegend um den Altermarkt verlassen, schritt weiter nach Norden, durch kleine Gassen.
    »Nein, er hat mich nicht bemerkt«, beruhigte sich Johann und wischte mit dem Ärmel des Studentenrocks über sein kaltfeuchtes Gesicht. Leise warnte ein Gedanke, dass der Fremde ihn aus der belebten Innenstadt herauslocken wollte, der Fuchs den Jäger in die Falle lockte. Bis jetzt hatte Johann nicht gewagt, ihn zu stellen, noch nicht. Immer wieder hatte er auf einen günstigeren Augenblick gehofft, von Straße zu Gasse, gewartet auf die nächste Gelegenheit, dann aber bestimmt, und doch wieder aufgeschoben.
    Die hagere Gestalt verlangsamte den Schritt. Hastig sprang Johann zur Seite, wollte in die Sicherheit der Winkel, Ecken und Nischen, rutschte und schlug mit dem Rücken gegen eine Hauswand, versuchte sich hochzustemmen, doch die Schuhe glitten im weichen Untergrund weg, gerade noch fassten seine Hände einen Mauervorsprung, an den er sich klammerte, bis seine Füße wieder festen Stand fanden. »Diese Stadt ist ein einziger Dreckhaufen«, keuchte er.
    Das nebelnasse Wetter hatte Kot und faulenden Unrat vor den Hauseingängen aufgeweicht und die Blauköpfe der Straße mit einer schmierigen Schicht überzogen.
    Tief drückte Johann seine Kapuze in die Stirn. Der Fremde war vor einem Haus stehen geblieben, sah nicht nach rechts oder links, klopfte laut, bis ihm geöffnet wurde, Johann hörte die freudige Begrüßung, so unbekümmert, dass es ihn ärgerte, als Gast wurde der Fremde hereingebeten.
    Wieder, zum fünften Mal, seit Johann ihm nachging, hatte dieser Mann ein Haus betreten, mal ein vornehmes Gebäude, mal eine von Holz und Lehm zusammengehaltene Hütte oder ein Bürgerhaus wie dieses hier, Wand an Wand festverbunden mit den Nachbarhäusern. Nie hatten seine Besuche lange gedauert. Wer war dieser Fremde, gekleidet wie ein Magister, oder war er sogar Doktor?
    Oder ist er ein Betrüger, getarnt mit der Tracht eines Gelehrten? Ein Aufschneider, der gegen die Ordnung verstößt, und das Barett trägt, ohne befugt zu sein. Scharf sog Johann den Atem ein. Bei hohen Geldstrafen war es jeder Frau, jedem Mann untersagt, durch die Kleidung einen besseren Stand vorzutäuschen. Perlenbestickte, gold- oder silberverzierte Gewänder waren nur den Vornehmen des Adels erlaubt, und nur nach bestandenem Examen durfte ein Mann den Kragen und das Barett tragen.
    Dieser Fremde musste ein Scharlatan sein, wie er verhält sich kein rechtschaffener Mensch. Vor den Augen des Inquisitors stiehlt er die von heute an mit dem Bann belegten Schriften des Ketzers Martin Luther. Vor allen Studenten, im Angesicht meiner Professoren, stößt er mich zu Boden! Die Erinnerung trieb Johann Scham und Wut ins Gesicht. Und trotzdem wagt er es, furchtlos durch die Straßen zu gehen, betritt hier ein Haus, drei Gassen weiter ein nächstes.
    Auf der gegenüberliegenden Straßenseite blieb Johann im Schutz eines Mauerwinkels stehen und wartete. Er wollte warten, ihn weiterverfolgen.
    Heute Morgen, als er den Diebstahl vor dem Scheiterhaufen bemerkt hatte, da wollte er Unrecht verhindern, sein Magister sollte sehen, dass er, Johann Klopreis, der einfache Sohn eines Handwerkers, mutig für das Gesetz der Kirche eintrat. Hätte er doch diesen Mann festhalten, dem Greven oder sogar dem Inquisitor ausliefern können, ein Lob wäre ihm sicher gewesen, vielleicht hätte sich diese große Tat günstig auf sein Examen im nächsten Jahr ausgewirkt. Es war misslungen. Er hat mich niedergestoßen wie einen kleinen Jungen. Sicher hatten einige Mitstudenten den Vorfall beobachtet, sicher würden sie ihn bei seiner Rückkehr belächeln, ihren Spott treiben. In der Burse, dem gemeinsamen Wohn- und Studienhaus, konnte er sich diesen aufgeblasenen Söhnen reicher Eltern nicht entziehen. Jetzt aufgeben, einfach sagen: Was kümmert mich der Kerl? Niemals, dafür war es

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