Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Uebergebt sie den Flammen

Uebergebt sie den Flammen

Titel: Uebergebt sie den Flammen
Autoren: Tilman Röhrig
Vom Netzwerk:
Schwäche. Ich muss die Monate besiegen! Sie ließ den Tisch und blieb dicht vor der Freundin stehen. »Sicher gibt es noch Brombeeren, kein Fremder kennt unsern Schlupf durch den Knick, vielleicht finden wir sogar Himbeeren.«
    Greets Lachen versiegelte die Furcht und hob Wendel hinauf. »Ja! Wir gehen ins Versteck!« Lachend versuchte sie, die Freundin herumzuwirbeln, vergeblich. Greet umfasste ihre Hüfte und setzte sie auf den Tisch. »Da musst du noch viel essen, mein Kleines.«
    Drüben vom Kirchturm tönten die Glocken herüber. »Hörst du?«
    Wendel stürzte zum Fenster, trank das Läuten. »Sonntag!« Nein, sie gingen nicht zur Messe. Durch Adolph habe ich damals sehen gelernt, meinen Glauben in Münster vor den Heiligen verborgen, jetzt faltet mein Herz ihn vorsichtig wieder auf. Auch wenn er verknittert ist, ich bin in Seiner Hand, das weiß ich, und keinem Mönch, Pfaffen oder Wiedertäufer wird es gelingen, mir dieses Dach zu nehmen.
    Längst hatten die Mädchen mitten im Hof die Milchkanne abgestellt, schwangen ihre aus starken Weidenruten gebogenen Schlagreifen, das Geschrei wuchs zur Ungeduld.
    Die sonntägliche Ruhe der Straßen durfte nicht gestört werden, doch kaum hatten sie das weitgeöffnete Tor verlassen, trieben sie ihren Jubel vor sich her.
    Wendel blieb stehen. »Lach mich nicht aus, Greet«, streifte schnell ihre Riemenschuhe ab und warf sie in den Korb der Freundin, tappte Ballen und Ferse, grub mit den Zehen im weichen Staub. »Zarter als jeder Teppich!«, flüsterte sie und lachte in das verwunderte Gesicht der großen Frau. Übermütig ließ sie die Milchkanne einen Kreis in die Luft schreiben.
    Wenn die Woge sie hob, wollte die neue Freiheit Platz, Wendel musste das Glück hinausrufen, sich bewegen und konnte den Überfluss nicht fassen. In den Nächten schreckte sie aus dem Schlaf, tastete ängstlich nach den Kindern, fühlte den einfachen, harten Leinenstoff des Bettes, dankbar sog sie den Geruch der schwelenden Herdglut ein, Zuhause, es war gut, die Dunkelheit still, wirkliche Nacht, erleichtert sank sie zurück.
    Die Kanne stand im hohen Gras, wie Kränze hatten die Mädchen ihre Reifen über das zerbeulte Gefäß geworfen. »Wer zuerst den Becher voll hat, der gewinnt«, spornte Lisabeth die Schwestern zum Wettstreit an, und Jäger schwärmten aus, suchten zwischen Rotdorn und Schlehbüschen nach der mildroten oder schwarzen Beute.
    Der Dornenschild hat mein Versteck gehütet. Dankbar hockte Wendel neben der Freundin, hatte die Arme um die Knie geschlungen, meine Blumen, der Himmel, nichts hat mir den heimlichen Platz aufbrechen können.
    »Wenn die Alte sich nicht einfach ins Bett gelegt hätte«, Greet sah ihrer Hand zu, die sich zur Faust ballte, »glaub mir, Kindchen, ich hätte dich geholt. Aber den Hof und das Vieh durfte ich nicht allein lassen.«
    »Ich bin froh, dass du nicht gekommen bist.« Wendel starrte zum weiten Horizont, schmunzelte unvermittelt. »Eine wie dich hätte der Bischof gebrauchen können, bei deinen Kräften. Frau Hauptmann! Er hätte dir sofort eine Lanze gegeben, sogar ein eigenes Zelt.« Sie verwischte den Scherz, »Jeden Tag die Stadt vor Augen, diese Kanonen, und kein Weg führt hinein. Greet, gerade du wärst verzweifelt.«
    Vergnügtes Johlen tönte vom Knick herüber, die Suche war erfolgreich, die Töchter hatten eine üppige Stelle entdeckt.
    »Dieser Wahnsinn!« Greet schlug die Faust ins Gras. »Obwohl du es mir immer wieder erzählt hast. Es will mir nicht in den Kopf!« Heftig riss sie ein Büschel aus und warf es hinter sich.
    »Der Schneider ist jetzt König!« Ekel trieb Wendel einen Schauer über den Rücken.
    Jan van Leiden, König des Neuen Zion, Herrscher über den gesamten Erdkreis, über alle Kaiser, Könige, Fürsten und Gewaltigen der Welt! Gleich nach dem zweiten vergeblichen Sturm der Belagerer hatten die Auserwählten Anfang September diese frohe Botschaft über die Mauern in die Stellungen der Gottlosen geschossen. Das Gerücht war von Stadt zu Stadt geflogen. Während des großen Jahrmarktes in Büderich hatten Händler die Neuigkeit verbreitet.
    »Johann suchte das reine Wort und glaubt jetzt einem König, an einen Menschen!« Nicht einmal hassen kann ich ihn, dachte Wendel. Zu tief waren Elend und Schmutz, durch die er mich gezogen hat. Nie durfte die Bürgerschaft erfahren, dass sie die Wiedertaufe empfangen hatte. Inquisition, Folter und Kerker, es wäre vielleicht ihr Tod. »Die ganzen Monate sind wir im Heerlager
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher