Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Uebergebt sie den Flammen

Uebergebt sie den Flammen

Titel: Uebergebt sie den Flammen
Autoren: Tilman Röhrig
Vom Netzwerk:
Schulter. »Würde er mir begegnen, Greet. Nur das wollte ich ihn fragen.« Aus klaren Augen blickte sie die Freundin an. »Sorge dich nicht. Nur: Wer vergibt? Nach der Antwort müsste er weitergehen.«
    *

J ohann schritt durch die Nacht, von der Tür zum Fenster, zur Wand und wieder zur Tür, flackerndes Kerzenlicht riss seinen Schatten bis zur holzgetäfelten Decke hinauf. Der Gastraum im Haus des Ratsherren war nicht zu eng, für ihn gab es keine Mauern mehr. Wie Sturm fieberte das Blut durch die Adern und hatte jede Erschöpfung des Körpers verbrannt.
    Johann fühlte den seidenen Rock hinauf, glatt und kühl, die Finger tasteten nach der geschmeidigen Kette, glitten von beiden Schulterhöhen an den Ringen hinunter und berührten das goldene Zeichen. Er hob die Münze an, zeigte sie dem Allmächtigen. »Sieh herab. Mein Ohr hat Deine Stimme vernommen. Dein Diener hat den Befehl ausgeführt. Mit Deinem Wort habe ich den Sieg errungen, es wächst und gedeiht in den Seelen der Bekehrten. Diese Stadt Warendorf führe ich ins Neue Jerusalem und lege sie Deinem König zu Füßen!« Voll Inbrunst küsste er die Münze, sah den blutigen Abdruck seiner Lippen, rasch leckte er das Gold sauber und presste den Schatz an die Brust.
    Mein Fleisch ist nur Werkzeug des Heiligen Geistes, wie kann ich je wieder müde sein? Johann sog den Atem, reckte sich. Seit dem großen Mahl, seit dem Sendbefehl waren erst sieben Tage vergangen!
    Hart pochte er den Fingerknöchel an das Glas des Fensters und lachte. Draußen, das Volk von Warendorf braucht Schlaf, um den Auftrag zu erfüllen, den ich, der wahre Apostel, ihm überbracht habe. Wenn die Stunde anbricht, werden diese Männer zum Schwert und befreien den Osten des Neuen Jerusalem. Lass sie schlafen. Ich aber ruhe nicht in der siebten Nacht!
    Auf dem Tisch starb die Kerze, erschreckt hastete Johann zum Wandbord, kehrte zurück, noch ehe die Flamme ertrank, gelang es seiner fahrigen Hand, den neuen Docht zu entzünden. »Was ich auch tue«, Begeisterung erfüllte ihn, »das Licht bleibt mir!«
    Der Schein spiegelte sich in den geweiteten Augen, zeigte ihm den Domplatz der Heiligen Stadt, ließ wieder das letzte gemeinsame Mahl aufblühen. Welch ein Fest!
    In langen Reihen stehen die Tische, aus den Kesseln steigt Duft nach Köstlichem. Der König, umhüllt vom scharlachroten Mantel, Ketten und Bänder glitzern in der Mittagssonne, auf der Brust leuchtet das Herrschersiegel, gleich unter dem Kreuz durchbohren Schwerter den Erdball, und sein Haupt trägt die Weltkrone, so betritt er den Platz.
    »Hosianna!«
    Ihm folgt Divara, an ihrer Brust schläft das neugeborene Mädchen. Geschmückte Hofdamen geleiten die Königin.
    »Hosianna!«
    Mit lauter Stimme lädt der Hofmarschall das Volk der Auserwählten zu Tisch. Gekochtes Fleisch, Schinken, riesige Braten. »Esst und trinkt nach Herzenslust.« Die Würdigsten und Prädikanten, der Monarch selbst, allein sie bedienen in Demut die Kinder der Stadt Zion.
    Plötzlich beben die Lippen des Königs, rastlos eilt er von Tisch zu Tisch. Ein Unwürdiger sitzt mit an der heiligen Tafel!
    Johann stockte, unterbrach die Wanderung durch das Zimmer, sein gestreckter Finger umkreiste den Kerl. »Dort, mein König!«
    Sofort stellt Jan van Leiden diesen Mann zur Rede. »Sag mir deinen Glauben!«
    Die Antwort ist falsch. Mit einem einzigen Hieb schlägt ihm der Herrscher den Kopf vom Rumpf.
    Angeekelt zertrat ihn Johann auf den Holzdielen und schritt hocherhoben weiter.
    In der Abenddämmerung bricht der König vor seinem Berg den ungesäuerten Kuchen, verzehrt das erste Stück und spendet dem Volk. »Nehmet hin und esset. Verkündet den Tod des Herrn!«
    Seine Gemahlin setzt den Weinkrug an die Lippen, nimmt den ersten Schluck und gibt allen zu trinken. Mit Jubelgesang preisen die Auserwählten ihren Gott in der Höhe.
    Wohlgefällig breitet Jan van Leiden die Arme aus. »Wollt ihr Gottes Wort gehorchen?«
    »Hosianna!«
    »Wollt ihr jetzt und immer den Tod für ihn erleiden?«
    »Hosianna«, flüsterte Johann, »mein König, du befiehlst, und ich folge.« Sein Gang bewies Gehorsam, durchmaß das Zimmer mit gleichen Schritten, die Tür, das Fenster, die Wand.
    Im Feuerschein kniet er neben den Prädikanten, auf ihren Händen liegen die Urkunden, hinter ihnen beugen 23 Würdige den Rücken vor dem König.
    »Seid meine Apostel«, und die Stimme senkte den Mut von abertausend Streitern in ihre Herzen. »Gehet hin und bereitet den Sieg.«
    Johann reckte
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher