Überleben oder Scheitern: Die Kunst, in Krisen zu bestehen und daran zu wachsen (German Edition)
durch?
Häufig werden aufkommende Problemkonstellationen und sogar solche, die sich schon zu handfesten Krisen entwickelt haben, von den Betroffenen nicht sensibel genug wahrgenommen oder gar geleugnet. Erfahrungsgemäß neigen mehr Männer zu dieser Haltung als Frauen. Sie wollen Härte zeigen, nicht als Weichei gelten und ignorieren oft hartnäckig körperliche oder psychische Symptome.
Wenn Menschen eine traumatische Situation erleben, ist die erste Reaktion ein innerer Aufschrei: »Das kann nicht sein!« In unserem Alltag folgt darauf häufig die Schlussfolgerung: »Was ich nicht sehen will, ist auch nicht da.« Wir wollen nun einmal nicht gerne aus unserer Normalität herausgerissen werden, wenn sich Probleme andeuten. Um Krisen oder Schwierigkeiten bewältigen zu können, müssen wir aber immer etwas verändern – entweder an den situativen Bedingungen, die uns belasten, oder an uns selbst. Veränderungen werden von vielen Menschen jedoch als unangenehm empfunden, sie machen Angst. Deswegen begnügen wir uns zunächst einmal damit, mehr oder weniger den Kopf in den Sand zu stecken und so zu tun, als könne alles weitergehen wie bisher. Hinzu kommt, dass viele Menschen ein starkes Bedürfnis nach Harmonie haben und Auseinandersetzungen eher scheuen.
Situationen, in denen wir so reagieren, dürfte jeder von uns aus dem Alltag kennen: In der Arbeit schwelt ein Konflikt unter Kollegen, aber keiner schafft es, dies anzusprechen. Alle machen weiter wie bisher, spüren aber, dass sich die Stimmung im Team geändert hat. Im Laufe der Zeit stauen sich viel Frust und Ärger an, der sich dann oft an ganz falscher Stelle ein Ventil sucht. Etwa, indem einer der Kollegen bei einem nichtigen Anlass die Fassung verliert und emotional »explodiert«. Die Anderen reagieren verblüfft, können diesen unverhältnismäßigen Ausbruch nicht einordnen.
Auch viele Paare kennen das Gefühl, sich an einer Eigenart oder einer Verhaltensweise des Partners zu stören, ein Gespräch darüber aber lange Zeit vor sich her zu schieben. Es ergeben sich latente Spannungen, die immer weiter zunehmen, bis aus dem eher kleinen Gefühl der Unzufriedenheit ein gravierendes Problem wird. Beide Seiten werden immer missmutiger, es kann keine richtige Freude und Nähe mehr aufkommen. Man ist auf Nebenschauplätze ausgewichen und gerät zunehmend wegen Kleinigkeiten in Streit. In solchen Scharmützeln entladen sich dann auch die Vorwürfe, die man so lange verschwiegen hat. Und zwar auf eine sehr angespannte und oft vollkommen übertriebene Art und Weise, so dass der Partner das Gesagte nicht annehmen kann. Stattdessen reagiert er verletzt, schlägt verbal zurück – und plötzlich steckt man in einer ernsthaften Beziehungskrise.
Ich bin im Laufe der Zeit einer ganzen Reihe von Menschen begegnet, die Krisen über viele Monate oder manchmal auch Jahre vor sich selbst geleugnet haben und sich im Nachhinein eingestehen mussten, dass sie sich viel Leid hätten ersparen können, wenn sie ehrlicher zu sich selbst gewesen und frühzeitig konsequenter gehandelt hätten. Einen besonders tragischen Fall für diese Verdrängungshaltung erlebte ich dabei in meinem persönlichen Umfeld: Ein Freund von mir arbeitete als Wissenschaftler in der Verwaltung einer großen Versicherungsgesellschaft, bei der er Softwareprogramme für Lebensversicherungen entwickelte. Er war ein sehr intelligenter Mann, dessen Leben von außen betrachtet erfüllt und glücklich aussah. Er hatte eine nette Frau, zwei gesunde Kinder, ein wunderschönes Haus, zahlreiche soziale Kontakte und hielt sich mit Rudern fit. Man konnte meinen, er hätte die idealen Voraussetzungen für ein glückliches Leben gehabt. Dabei hatte er ein gravierendes Problem: Als studierter Philosoph galt seine Leidenschaft ganz anderen Themen. Da er in diesem Bereich keine Anstellung gefunden hatte, war er bei jener Versicherung gelandet. Er verdiente nicht schlecht, litt aber unter der mangelnden Herausforderung. Innerlich wurde er immer unzufriedener, der von Natur aus lebensfrohe Mann wurde von Tag zu Tag stiller und niedergeschlagener. Im Job lieferte er eine tadellose Leistung ab, aber seine Beziehung zu den Kollegen litt unter seiner zunehmenden Verdrossenheit. Abends begann er, seine Stimmung mit Alkohol aufzuhellen; er schlief immer schlechter, reagierte gereizt auf die Familie, die Spannungen nahmen zu. Er geriet in einen Teufelskreis: Unzufriedenheit, das Gefühl, am falschen Platz zu sein, negative
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