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Überm Rauschen: Roman (German Edition)

Überm Rauschen: Roman (German Edition)

Titel: Überm Rauschen: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Norbert Scheuer
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dem Hermann letztes Jahr während der Nachtschicht verunglückt ist. Niemand hatte geahnt, dass Hermann da unten tagelang im Staub lag und darin zu ertrinken drohte. Als Alma mich im Sommer letzten Jahres anrief und sagte, dass Hermann verschwunden sei, dachte ich wie die meisten, dass er wieder abgehauen und zur See gefahren wäre. Doch wie durch ein Wunder wurde Hermann aus dem Staubsilo gerettet. Er lag daraufhin einige Wochen im Krankenhaus und schickte mir eine Kassette, auf der er von seltsamen Dingen im Staub berichtete. Ich glaube, dass er sich von diesem Unglück nie mehr richtig erholt hat.
     
    «Als ich im Staub lag, wusste ich nich, wo oben und unten war, wusste für einen Moment gar nichts mehr, bekam Angst zu ersticken, hatte den Mund voller Staub, musste aufpassen, dass ich nicht tiefer einsinke, ich konnt mich nich bewegen, mich nirgends festhalten … es gab nichts zum Festhalten. Da war nur warmer Staub, ich konnt nich raus … wie im Gefängnis … wie sollt ich da auch rauskommen, es war stockdunkel, die Wände des Silos sind glatt, rund und zwanzig Meter hoch … du kennst die Silos, Leo, hast ja selbst eine Zeit lang da gearbeitet. Als ich nach oben sah, wusst ich, dass ich da nicht hochklettern konnt, oben in der Mitte des Bodens sah ich das Loch, auf dem die Bretter gelegen hatten und die jemand weggenommen hatte … hätt nur meine Augen aufmachen müssen – warum hab ich bloß meine Augen nicht aufgemacht. Wenn das Mehl nicht meinen Fall gedämpft hätt, ich glaub, ich wär jetzt tot, so fiel ich ganz weich in den Staub und sank ein. Als ich da unten lag, dacht ich, dass es zu Ende ist, ich wusst nicht, was ich machen sollte, das Loch oben war unerreichbar, selbst wenn ich die zwanzig Meter an der glatten Wand hochgeklettert wär, hätt ich noch unter der Decke bis zur Mitte, zur Luke kommen müssen, wie sollt das gehen, dafür hätt ich eine Fliege sein müssen, die unter der Decke laufen kann. Ich überlegte, wie ich rauskommen könnt … konnt aber nich denken, mir fiel nichts ein – dacht immer nur, ich würde im Staub ersaufen – es hatte keinen Sinn zu schreien, niemand würd mich hör’n … Leo, du weißt, dass da keiner hinkommt. Ich schrie trotzdem, aber der Staub dämpfte alles. Durch das Loch oben kam nur diffuses Licht … nicht genug, um was erkennen zu können, ich sah nichts, nur Staub … Staub. Ich musste nachdenken, einfach überlegen, wie ich da hochkomm … Alle sechs Stunden kam jemand, um eine Probe zu holen. Aber ich dachte, dass ich es so lang nicht aushalten werd, hätt da schon ersticken können … versuchte an die Wand zu kommen, dachte, da vielleicht Halt zu finden. Ich hab überlegt, ob vielleicht irgendwo eine Leiter ist oder ein Moniereisen, das in die Wand eingelassen ist. Dachte an meine Wasserflasche, die da oben rumlag, und fantasierte, schrie, dass Vater sie wenigstens runterwerfen solle … Ich sah ein Gesicht, wie es durch das Loch guckte, es war Strohwang, der den Becher für die Mehlprobe runterließ, es mussten sechs Stunden vergangen sein. Ich schrie, Strohwang … Strohwang … du weißt ja, dass er total schwerhörig ist, hatte keinen Zweck, warum kam auch ausgerechnet dieser Idiot. Dachte, dass ich vielleicht den Becher oder die Schnur zu fassen bekomm, ich versuchte, ihn zu erreichen, und versank dabei im Staub. Strohwang hatte den Becher längst hochgezogen und Bretter über das Loch gelegt. Es war jetzt völlig dunkel, ich sah nichts mehr. Ich dachte an Vater, hab gehofft, dass er oben sitzen, in seinen Büchern lesen würde. Er hatte mir diese Stelle gezeigt, als wir noch zusammen im Zementwerk arbeiteten. Ich rief nach ihm, dacht, dass er wirklich da sei, dachte, dass er mich unten im Staub verrecken lassen würd, weil ich den Fisch nicht geangelt hatte. Ich schluckte mit jedem Atemzug Staub, meine Lungen verklebten immer mehr. Der Staub stieg höher und höher, ich redete die ganze Zeit mit irgendwelchen Leuten, nur um nicht verrückt zu werden. Vater tauchte in meinen Fantasien auf, er erzählte vom Ichthys, weißt du noch, der Fisch, von dem er immer fantasiert hatte. Irgendwann kam wieder jemand und ließ einen Becher runter. Ich war fast schon im Mehlstaub versunken. Und dann hab ich versucht, was wir immer gemacht haben, ich breitete die Arme aus und stellte mir vor, wie ein toter Mann auf dem Staub zu treiben … ich bildete mir ein, dass ich mit dir auf dem Fluss treiben würde, aufs Rauschen zu, weißt du noch, Leo, wie

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