Überm Rauschen: Roman (German Edition)
Krankenwagen fuhr langsam die Bahnhofstraße hinunter, dann durch das Gewerbegebiet und weiter auf der Landstraße, die unseren Fluss begleitet. Der Fluss, wie Vater sagte, ist das Einzige, das wirklich uns gehört, das ewig unser Erbteil sein wird.
Ich brachte Mutter mit Claudia zusammen ins Stift zurück. Renate lief zum Bahnhof, um noch den letzten Zug in die Stadt zu erreichen. Salm und Knuppeglas waren wieder zum Fluss gefahren, um für diesen Tag die letzten Setzlinge auszubringen. Als sie viel später am Abend zurückkamen, machte Alma Bratkartoffeln und Spiegeleier für die beiden.
«Vielleicht werden sie jetzt die Gaststätte ganz schließen», befürchtete Alma. Sartorius saß an der Theke. Er hatte Hermann zur Klinik gebracht und war danach nochmals zurückgekommen. Ich versprach ihm, mich um Hermann zu kümmern – aber ich war mittlerweile völlig betrunken, und wie immer, wenn ich getrunken habe, redete ich zu viel. Wie soll ich meinem Bruder helfen, ich komme kaum allein zurecht, und niemand weiß, ob Hermann überhaupt wieder gesund wird.
Das Sonnenfischchen oder Moderlieschen ( Leucaspius delineatus ) lebt in Schwärmen dicht unter der Wasseroberfläche und ist sehr scheu. Früher nahm man an, es würde aus dem Schlamm auf dem Grund geboren, deshalb Moderlieschen, oder aus dem glitzernden Sonnenlicht, weshalb man es auch Sonnenfischchen nannte. Es ist nur fingerlang, zart mit silbern glänzenden Schwanzflossen, sein Schuppenkleid ist hellgrün, silberweiß und durchscheinend. Die Mundspalte ist steil nach oben gerichtet, so als würde das Sonnenfischchen freundlich lächeln.
29
Gegen Abend stehe ich immer noch im Wasser, ich kann an dieser Stelle weite Strecken des Flusses überblicken, der in der Dämmerung wie eine geschliffene, spiegelnde Fläche erscheint. Während ich meinen Köder wieder und wieder auswerfe, vergesse ich alles um mich herum; alles, was je gewesen ist, vergesse ich, und es gibt nur noch den Fisch. Manchmal glaube ich, ihn zu sehen, Wallungen des Wassers, die scharfe Kante einer dunklen Rückenflosse, die sich kurz herausschiebt und wieder abtaucht. Vielleicht ist alles nur ein Hirngespinst, denke ich. Dann schert der Fisch blitzartig aus, schnappt meinen Köder, den er mit schnellem Tempo schluckt und womit er sich so selbst am Haken festmacht und fängt. Er zieht stromauf, ich gebe Leine nach, halte die Rute schräg nach oben gerichtet überm Wasser, sodass er die auf dem Wasser liegende Schnur mitziehen muss und gleichzeitig die gebogene Rute seine Schläge dämpft, damit er schneller ermüdet. Ich muss immer wieder Leine nachgeben und ihm folgen. Schließlich stehe ich dort, wo der Mühlbach in den Fluss mündet, wo ich am Morgen schon mal einen Fisch verloren habe. Die Schnur muss gespannt sein, wenn der Fisch einen Augenblick keine Spannung spürt, wird er ausreißen.
Mittlerweile sind Stunden vergangen, und es ist ganz dunkel geworden. Die Lichter der am Ufer stehenden Häuser schimmern auf dem Fluss, Autos fahren über die Brücke, die das Tal von einem Bergkamm zum anderen überspannt. Ich habe den großen Fisch noch an der Angel, ich will ihn fangen, keinen anderen als ihn, ich wünschte, dass Hermann und Vater jetzt bei mir wären, sie sehen könnten, dass ich etwas gelernt habe, mir Mühe gebe, ihn zu erwischen. Der Abendzug, in dem nur wenige Leute sitzen, fährt an unserer Gaststätte vorbei und verschwindet im Stiftbergtunnel. Der Fisch taucht jetzt. Ich versuche ihn zu drillen, zu ermüden, an der Flucht zu hindern, gebe ihm wiederholt Schnur nach, um sie alsbald wieder einzuholen. Währenddessen sehe ich Hermann als Jungen hinter der Theke unserer Wirtschaft, höre ihn sagen: «Fischers Fritz fischt frische Fische …», er produziert dabei ulkige, lispelnde Zischlaute, über die man sich amüsiert, weil er es einfach nicht richtig hinbekommt … Ich liege mit meinem Bruder zusammen im Zimmer, wir treiben langsam mit ausgebreiteten Armen auf dem Fluss, hören Musikboxlieder aus der Gaststätte, sehen zu den Sternen, zum unendlichen Firmament über uns … Alles, was je gewesen ist, treibt jetzt mit uns auf dem Fluss zum Rauschen hinunter.
Danksagung
Mein Dank gilt den Fliegenfischern Werner Berens und Ralf Renell für wertvolle Tipps, Ulrike Erb-May, Monika Alt, Martin Hielscher, meinen Freunden Katharina und Dietrich Schubert, Erich Hermes, meiner geliebten Frau Elvira und unseren beiden Kindern, Philomena und Erasmus, der sich trotz seines
Weitere Kostenlose Bücher