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Übersinnlich

Übersinnlich

Titel: Übersinnlich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kerstin Dirks
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beneidete Lucy und Henry. Für sie war alles so klar und einfach gewesen. Niemand hatte je daran gezweifelt, dass die beiden füreinander bestimmt waren. Auch nicht sie selbst.
    Als sich der Kiefernwald öffnete und den Blick auf meinen Strand freigab, hielt ich verwundert inne. Alles erschien auf den ersten Blick wie immer. Die Dünen, meine Hütte, der kleine Garten dahinter, Büschel aus Strandhafer und zwei abgestorbene Kiefern, die mein Refugium flankierten. Ja, alles war wie immer, abgesehen von der Spur, die auf meine Haustür zuführte. Sie kam aus dem Meer.
    Ich lief schneller. Halb neugierig, halb wütend, denn es gab einige halbstarke Burschen aus dem Dorf, die es lustig fanden, meine Holzwände zu bemalen oder verfaulenden Fisch in die Ritzen zwischen die Bretter zu stecken.
    Als ich die Haustür aufriss, sprang eine helle Gestalt aus dem Sessel auf und huschte in die nächste dunkle Ecke. Genau zwischen Bücherschrank und Herd. Es war eine Frau. Die Frau, die mir schon einmal begegnet war. Meine Illusion, geboren aus alkoholvernebelten Träumen. So hatte ich wenigstens gedacht. Doch jetzt kauerte sie vor mir, und ich war vollkommen nüchtern.
    Ihre dunklen Augen wirkten riesengroß. Feuchte Haarsträhnen klebten wie schwarze Schlangen auf ihrer Haut und reichten bis auf ihre Oberschenkel. Ja, sie war es. Keine Frage. Und sie schien sich nicht zwischen Angst und Freude entscheiden zu können.
    „Jack …“
    Hörte ich richtig? Hatte sie gerade meinen Namen gesagt?
    „Wer bist du? Was machst du hier?“
    Die schöne Fremde stand auf, anmutig wie eine Elfe, und war plötzlich ganz nah bei mir. Ihre Finger strichen durch mein Haar, während sie lächelte, als würden wir uns seit Ewigkeiten kennen. Ozeanblau funkelten ihre Augen. Mein Gott, sie waren so blau, dass es fast unmenschlich schien. Dieses Geschöpf war unbeschreiblich. Ihre Haut schimmerte wie Perlmutt, ihre Haare eine nachtblaue Flut. Und diese Brüste, Himmel, diese Brüste! Es kostete mich alle Willenskraft, sie nicht unverschämt zu begaffen.
    Was würde Paul sagen, wenn ich ihm erzählte, was hier gerade geschah? Eine schöne nackte Fremde, die sich an mich schmiegte.
    „Was machst du hier? Ist dir irgendetwas zugestoßen?“
    „Wie Erde“, raunte sie, ohne auf meine Fragen einzugehen, und schnupperte genüsslich an meinen Haaren. Inzwischen fielen sie mir bis über die Ohren, denn seit Susannah mich verlassen hatte, waren sie nicht mehr geschnitten worden. Ich erinnerte mich daran, dass ich mal Locken besessen hatte. Doch inzwischen hatten sich diese Locken in ein wirres Chaos verwandelt.
    „Farbe wie Erde und ein Geruch wie Fisch.“
    Ich musste lachen. Wie redete sie überhaupt? „Haare wie Erde? Ist das ein Kompliment?“
    „Ja.“ Sie nickte begeistert. „Wie wunderschöne Erde. Und Augen wie …“ Jetzt geriet sie in Grübeln. „Stern? Bein? Ich weiß nicht das Wort. Sternbein?“
    „Was?“
    Sie stieß ein zauberhaftes Gurren aus. Oh je, schon wieder hatte ich auf ihre Brüste gestarrt. „Goldbraune Steine aus Meer?“, drängelte sie ungeduldig. „Du weißt das Wort? Wie deine Augen.“
    Jetzt dämmerte es mir. „Oh, du meinst Bernstein?“
    „Ja! Bernstein.“ Sie lachte, und diese Laute waren so berauschend schön, dass ich zu schwanken begann. Mir wurde schwindlig. Mein Blick wanderte tiefer, und ich konnte rein gar nichts dagegen tun. Auch das Haar zwischen ihren Beinen war blauschwarz.
    „Bernstein“, raunte sie nachdenklich. „Und du singst. Wie wir. Immer, wenn du auf dem Meer bist, singst du.“
    „Na ja, singen ist zu viel gesagt.“ Ich konnte nicht an mich halten und streichelte ihre Haut. Wie zart sie war. Susannah hatte schöne Haut besessen, doch selbst sie hatte sich dagegen rau angefühlt. „Ich brumme ein paar Seemannslieder vor mich hin. Mehr nicht.“
    „Menschen haben früher wenig genommen und danke gesagt. Jetzt nehmen sie viel und sagen nicht mehr danke. Nur wenige sind wie du oder die Alten.“ Die Frau wich vor mir zurück und griff nach einem meiner Hemden, die achtlos zusammengeknüllt in einem selbst gezimmerten Regal lagen. Es war ein schäbiges, dunkelgrünes Ding, doch als sie es überzog, sah es doch bezaubernd an ihr aus. Es half, nicht mehr ihre Brüste sehen zu müssen. Brüste, die ich nur zu gerne …
    „Verdammt!“ Der Fluch galt mir, doch die Frau zuckte vor meiner Stimme zurück, als hätte ich sie geschlagen. „Tut mir leid. Ich meinte nicht dich. Willst du mir nicht

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