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Übersinnlich

Übersinnlich

Titel: Übersinnlich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kerstin Dirks
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jetzt auf mich zu, schmiegte sich an mich wie ein Kätzchen und seufzte enttäuscht, als ich mich von ihr lösen musste. Noch warteten zwei Körbe und ein Netz darauf, an Bord gebracht zu werden.
    MacDouglas traf vor Neid fast der Schlag.
    „Eine Bekannte“, log ich mehr schlecht als recht. „Eine Freundin meiner Frau.“
    „Aha.“ Paul glotzte, während ich das Netz fein säuberlich zusammenlegte und verstaute. „Freut mich jedenfalls, Sie kennenzulernen.“
    Er wollte meiner schönen Fremden die Hand geben, doch sie fuhr mit einem leisen Schreckenslaut herum, huschte an mir vorbei auf den Kutter und versteckte sich hinter dem Steuerrad.
    „Sie ist scheu“, erwiderte ich schulterzuckend. „Schon immer gewesen.“
    „Offenbar.“
    Pauls Blick haftete auf mir, bis ich mein Schicksal aus dem Hafen lenkte. Sie alle starrten uns hinterher. Männer, Frauen und Kinder. Der alte Pfarrer, ein kopfschüttelnder MacDouglas, der vom Donner gerührte Paul, die uralte Lara, der der einzige Laden des Dorfes gehörte, und sogar die drei Hafenköter.
    Meine schöne Fremde wagte sich erst wieder hervor, als die Küste im Morgennebel zu verschwimmen begann und der salzige Wind des offenen Meeres um unsere Nasen wehte.
    „Wer bist du?“, fragte ich sie. „Wie ist dein Name? Klär mich doch endlich auf. Du kannst nicht nackt in meine Hütte schneien und erwarten, dass ich nicht platze vor Neugier.“
    „Ich brauche keinen Namen.“
    „Jeder braucht einen Namen.“
    „Dummer Gedanke“, blockte sie meine Neugier ab. Das Kleid umflatterte auf derart verführerische Weise ihren Körper, dass mir kalt und heiß wurde vor Verlangen, sie an mich zu ziehen. Lächelnd lehnte sie sich mit dem Rücken gegen die Reling und sah mich an. Ihr Haar war so schwarzblau wie die See über den Tiefseegräben. So schwarzblau wie der Nachthimmel im Sommer.
    „Alles lebt auch ohne Namen“, klärte sie mich auf. „Seit ewigen Zeiten.“
    „Dann werde ich dich einfach Blue nennen“ befand ich hartnäckig. „Blue wie dein Haar, wie deine Augen und das Meer. Aber wer bist du?“
    Sie lächelte. „Was ich bin, habe ich dir schon gesagt?“
    „Du meinst ein Fisch?“
    „Nein.“
    Ich war auf absurde Weise erleichtert. „Also bist du ein Mensch?“
    „Nein.“ Ihr Blick war absolut unergründlich. „Warum denkt ihr so?“
    „Wie denken wir denn?“
    „Ein Einsiedlerkrebs verlässt die Muschel, wenn sie ihm zu eng wird. Aber in euren Köpfen ist es so eng, dass ihr euch kaum bewegen könnt. Ihr tut nichts dagegen. Lebt in euren winzigen Gedankenhäusern.“
    Jetzt musste ich herzhaft lachen. „Glaube mir, in vielen Gedankenhäusern ist es enger als in meinem. Jetzt sag schon, warum bist du zu mir gekommen? Was willst du?“
    „Nur bei dir sein.“ Ein trauriger Klang wehte durch ihre Stimme. Sie wandte sich um und sah in das Wasser hinab. Lange Zeit, ohne ein Wort zu sagen. Ich hörte sie leise summen. Ihre Stimme war wie Samt und Seide, wie Engelsgeflüster und Wellengesäusel. Das Meer selbst schien darin mitzuklingen, als hätte ihre Stimme die Macht, es zu beschwören. Seinen Zorn zu entfachen oder es zu besänftigen.
    Und tatsächlich schien es so, als glitte die
Destiny
wie von Wolken getragen über das Wasser. In kürzester Zeit erreichte ich eine geeignete Stelle, um die Hummerkörbe zu versenken, doch kaum präparierte ich den ersten mit Ködern aus Fischstückchen, griff Blue nach meinem Arm.
    „Krusten gedacht und gefühlt wie du“, sagte sie mit tadelndem Blick. „Sie bleiben treu bis zum Lebensende und werden alt wie ihr Menschen. Vieles ist wie bei euch.“
    „Krusten?“
    „Du nennst sie Hummer. Ihr dürft sie nicht essen. Fahr weiter raus, ich bringe dir Fische.“
    „Und Fische sind in Ordnung?“
    Sie sah mich an wie ein Kind, dem man die einfachsten Dinge erklären muss. „Krusten fühlen wie wir. Wale, Schwertfische, Schildkröten und Delfine. Viele große, alt werdende Wesen. Schwarmfische sind anders. Sie denken und fühlen viel, aber sie tun es im Schwarm. Der Schwarm ist wie ein Wesen. Um sie zu töten, musst du den ganzen Schwarm töten. Ein einzelner Fisch nicht wehtut. Du verstehst?“
    „Nun ja.“ Ich wand mich unter ihrem harten Blick. „Aber ich fange ganze Schwärme.“
    „Fahr!“, befahl sie mit eisigem Blick, und zum ersten Mal spürte ich, dass unter der Maske der schönen, sanften Fremden noch etwas anderes lag. Etwas, das mich erschreckte wie ein fremdartiges, gefährliches Tier unter der

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