Ulysses Moore – Die Stadt im Eis
hoch.
Jemand, der gegen dich arbeitet
. Er lief wieder hinaus in den Garten.
Kapitel 4
Ein Meer aus Schlamm
Die Überschwemmung verschwand ebenso rasch wieder, wie sie entstanden war. Als sich das Wasser zurückzog, sah der Platz vor der Kirche St. Jacob’s aus wie der Austragungsort einer Schlammschlacht. Die Flutwelle, die in der Altstadt entsprungen war, hatte sich einen Weg durch alle Straßen und Gassen gebahnt, die von dem Platz zwischen Buchgeschäft und Postamt ausgingen, und war auf der linken Seite der Kirche aufgeschlagen – mit so viel Wucht, dass das Wasser bis zum Kirchendach hinaufgespritzt war. Danach hatte sich die Flut in die Hauptstraße, die Pembley Road, ergossen und eine dicke Schicht Schlick und Schlamm voller Algen und lebender, zappelnder Fische zurückgelassen.
Die Hauswände sahen aus, als wäre ein riesiger Pinsel darübergefahren. Blumenkästen, Fensterläden und alles, was sich unterhalb des ersten Stockwerks befunden hatte, war mitgerissen worden.
Anita und Jason waren entsetzt über den Anblick, der sich ihnen hier bot.
Das Kirchentor war aufgesprungen und gab den Blick auf einen Sumpf frei. In allen Straßen floss das Wasser in braunen Rinnsalen, in denen Holzanker, Tonscherben und herausgerissene Buchseiten schwammen, in Richtung Meer. Und überall waren zerrissene Buchseiten zu sehen: Sie klebten an Haustüren und lagen sogar auf den Balkonen.
»Komm!«, sagte Jason plötzlich und ging auf den obe ren Teil des Platzes und die Kirche zu.
Anita folgte ihm. Von überall her drangen Schreie zu ihnen herüber, die Geräusche von Türen und Fenstern, die geöffnet wurden, das Hupen von Autos und das Jaulen von Reifen, die im weichen Schlamm durchdrehten. Auf dem höher gelegenen Teil des Platzes versanken sie bis zu den Knöcheln im Schlamm, an manchen Stellen sogar bis zu den Knien.
Besorgt suchte Anita die Gesichter der Leute ab, die sich durch den Matsch quälten, in der Hoffnung, unter ihnen ihren Vater oder Tommaso zu entdecken.
Endlich erreichten sie die Kirche. Hier stand das Wasser nur wenige Zentimeter hoch, und einige Frauen hatten bereits damit begonnen, es mit Strohbesen hinauszukehren. Pater Phoenix stand vor dem Altar und erteilte Befehle. »Zur Krankenstation! Sofort! Wir stellen gerade in der Klinik auf der anderen Straßenseite Betten auf«, rief er gerade.
Manche Leute hatten sich am Arm verletzt, andere an der Stirn. Die Schwerverletzten hatte man auf die Kirchenbänke gelegt. Ein Chor aus Klagelauten und Schmerzensschreien hallte im Kirchenschiff wider.
Niemand konnte mit Sicherheit sagen, was eigentlich passiert war. Vor zwanzig Minuten war aus dem Nichts plötzlich eine Flutwelle durch Kilmore Cove gerollt, die alles überschwemmt hatte.
»Können wir etwas tun?«, fragte Jason, nachdem es ihm gelungen war, den Pfarrer auf sich aufmerksam zu machen.
»Ihr habt die Qual der Wahl! Ihr könnt mir hier helfen, die Bänke umzustellen, oder in der Klinik nachsehen, wie sie mit den Betten vorankommen. Oder aber ihr geht durch den Ort und seht nach, ob jemand im Schlamm feststeckt. Macht irgendetwas, aber macht was!«
Dann krempelte sich Pater Phoenix die Ärmel seiner Kutte hoch, hob die erste Bank vorne vor dem Altar in die Höhe und stellte sie an der Seite ab, als ob sie federleicht wäre.
Anita und Jason entschieden sich dafür, im alten Ortskern nachzusehen, dort, wo die Flutwelle entstanden war. Darauf bedacht, nicht auszurutschen, gingen sie die Gassen hinauf, bis sie meinten, ganz in der Nähe jemanden rufen zu hören. Je näher sie kamen, desto deutlicher hörten sie es. Die beiden bahnten sich zwischen den Trümmern ihren Weg und erreichten so das Haus der alten Miss Biggles.
Auch hier hatte das Wasser gewütet. Die Straßenlaterne vor dem Haus sah aus wie ein geknickter Strohhalm und das ganze Geländer des Balkons im ersten Stock war zerstört. Die Flut hatte die Fenster im Erdgeschoss eingedrückt, war in Küche und Wohnzimmer geströmt und hatte Töpfe, Geschirr und sogar das große geblümte Sofa nach draußen geschwemmt. Das Sofa war weiter unten in der Gasse hängen geblieben und Miss Biggles war auf das Dach geklettert. Hier hockte sie nun und schrie aus vollem Halse um Hilfe, von einer Schar maunzender und miauender Katzen unterstützt.
Jason rief zu ihr hinauf, aber sie schien ihn gar nicht zu hören.
»Schon wieder Wasser! Schon wieder!«, schluchzte sie verzweifelt. Sie putzte sich die Nase, verlor dabei ihren Halt und rutschte ein
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