Um Leben Und Tod
das Wohlbefinden eines gewissenlosen Verbrechers. Dazu schreibt Ingo von Münch (Professor für Verfassungs- und Völkerrecht):
»Das Recht auf Leben ist nicht nur ein negatives Abwehrrecht, sondern begründet auch positive Leistungsansprüche gegenüber dem Staat. Zwar sind Fälle denkbar, in denen der Staat eine Lebensvernichtung als rechtmäÃig anerkennen kann (beispielsweise beim âºfinalen Rettungsschussâ¹ der Polizei); diese staatlich vorgenommenen oder geduldeten Eingriffe sind aber nur dann zulässig und gerechtfertigt, wenn dabei Leben gegen Leben steht und die Entscheidung zugunsten des einen Lebens verfassungsrechtlich geboten ist. Es ist dem Staat verwehrt, durch Unterlassen in das Recht auf Leben einzugreifen.« (GG-Kommentar, Art. 2 Rdnrn. 44, 46)
Der Staat muss den Bürger auch vor Ãbergriffen Dritter schützen; jeder Bürger hat den Anspruch auf persönliche Sicherheit.
»Bei der Aufgabe, das menschliche Leben vor seiner Tötung zu schützen, handelt es sich um eine elementare staatliche Schutzaufgabe. Ihre Erfüllung ist eine Grundbedingung des geordneten Zusammenlebens im Staat. Sie obliegt aller staatlichen Gewalt, d. h. dem Staat in allen seinen Funktionen«, schrieb das Bundesverfassungsgericht in seiner Entscheidung vom 28. Mai 1993. Bereits in der richtungweisenden Schleyer-Entscheidung vom 16. Oktober 1977 hatte es ausgeführt:
»Das Recht auf Leben in Verbindung mit der Verpflichtung, die Menschenwürde zu achten und zu schützen (Art. 2 Abs. 2 S. 1 i. V. m. Art. 1 Abs. 1 S. 2 GG), verpflichtet den Staat, jedes menschliche Leben zu schützen. Diese Schutzpflicht ist umfassend. Sie gebietet dem Staat, sich schützend und fördernd vor dieses Leben zu stellen, d. h. vor allem, es auch vor rechtswidrigen Eingriffen von Seiten anderer zu bewahren. An diesem Gebot haben sich alle staatlichen Organe, je nach ihren besonderen Aufgaben, auszurichten. Da das menschliche Leben einen Höchstwert darstellt, muà diese Schutzverpflichtung besonders ernst genommen werden.« (BVerfGE 46, 160; 49, 24)
Ich wurde Polizist, weil ich helfen wollte, potenzielle Opfer vor potenziellen Straftätern zu schützen. Je mehr sich die Gefährdung eines Opfers konkretisiert, desto intensiver müssen die SchutzmaÃnahmen sein. Als Privatperson könnte ich da relativ wenig helfen. Die Stärke der Polizei liegt nicht in einzelnen Polizeihelden, wie uns die Krimis vorgaukeln wollen, sondern in der Zusammenarbeit. Jeder einzelne Polizist trägt seinen Teil zur Aufklärung eines Verbrechens bei.
Aber wir müssen nicht nur Verbrechen aufklären, sondern sie auch verhindern, insbesondere müssen wir Leben retten.
Ist die Würde des Menschen unantastbar?
Auch die Würde des Opfers ist unantastbar, schrieb Prof. Dr. Otto Rudolf Kissel, ehemaliger Präsident des Bundesarbeitsgerichts und Jurist von höchstem Ansehen, am 10. März 2003 in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung . Bei der aktuellen Diskussion trete die Menschenwürde des Opfers in den Hintergrund, »ja wird verdrängt oder gar miÃachtet«. Die Polizei habe von der hoffnungsvollen Chance ausgehen können, »daà das Opfer noch lebt, aber nur gerettet werden konnte, wenn sein Aufenthaltsort bekanntwürde; der aber war allein dem Täter bekannt, ohne die Bekanntgabe durch ihn muÃte sich die Lebensgefahr nach menschlichem Ermessen binnen kürzester Zeit in den Tod umwandeln, das Schweigen des Täters war das Todesurteil. Denn: Irgendwo war das Opfer vom Täter gewaltsam hingebracht worden, nach aller Erfahrung in einem Erdloch oder einem Verschlag in einem Gebäude oder wo in Grausamkeit auch immer, gefesselt, hungernd, dürstend, frierend, völlig isoliert in Trostlosigkeit und Hoffnungslosigkeit, und seit Tagen ohne die geringste âºVersorgungâ¹. Diese vom Täter herbeigeführte Situation ist eine extreme Verletzung jeglicher Menschenwürde des Opfers, aber diese âºzu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewaltâ¹ (Artikel 1 Satz 2 Grundgesetz).
Auch wenn wir, was emotional wahrlich nicht leichtfällt, die Menschenwürde des Täters und die Menschenwürde des Opfers als einander vor der Verfassung gleichwertig gegenüberzustellen haben, kann nicht die Menschenwürde des situationsbedingt faktisch âºStärkerenâ¹ sich uneingeschränkt gegenüber der
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