Um Leben Und Tod
das heiÃt, es werden ihm Schmerzen zugefügt, um seinen Widerstand zu brechen. Das Gleiche gilt für gewalttätige Randalierer â im familiären Bereich ebenso wie in der Ãffentlichkeit oder in der Zelle einer Justizvollzugsanstalt. Wenn ein (terroristischer) Häftling in den Hungerstreik tritt, wird er zwangsweise ernährt â in Anwesenheit eines Arztes und mit lückenloser Dokumentation in Bild und Ton. Und wenn ein Tatverdächtiger die Gegenüberstellung mit Zeugen durch auffälliges Verhalten zu unterlaufen versucht, dürfen ihm auf Anordnung der Staatsanwaltschaft Schmerzen dadurch zugefügt werden, dass die SchlieÃkette an seinem Handgelenk zugezogen wird, »notfalls bis auf die Knochen« â so zwei Entscheidungen des Kammergerichts Berlin. Und zur Abwehr einer gegenwärtigen Gefahr für Leib oder Leben dürfen Schusswaffen gegen Personen eingesetzt werden â wenn es sich um das einzige Abwehrmittel handelt, sogar gegen Personen, die dem äuÃeren Anschein nach noch nicht 14 Jahre alt sind (§§ 60, 61 HSOG).
Werden diese rechtlich zugelassenen und auch gebotenen Anordnungen nicht befolgt, dürfen sie mit angemessenen Mitteln erzwungen werden. Da Zwangsgeld in diesen Fällen regelmäÃig ausscheidet, bleibt nur die Anwendung unmittelbaren Zwanges, das heiÃt die Einwirkung mit körperlicher Gewalt oder mit zugelassenen Hilfsmitteln (Dr. Kurt Gintzel, Zur Abgrenzung von Verwaltungszwang und Aussageerpressung , 03.03.2003). Sie darf nicht unverhältnismäÃig sein, es ist zunächst das mildeste Mittel anzuwenden.
Die Aufforderung (das Gebot) an Gäfgen, das Versteck des entführten Kindes zu benennen, war ein polizeilicher Verwaltungsakt. »Polizeiliche Verwaltungsakte können mit Zwangsmitteln (Ersatzvornahme, Zwangsgeld und notfalls unmittelbarer Zwang) durchgesetzt werden. Im hier erörterten Fall kam offensichtlich ausschlieÃlich unmittelbarer Zwang in Betracht«, schrieb Universitätsprofessor Dr. jur. Hans-Werner Laubinger in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung vom 1. März 2003.
Bei der Anwendung körperlicher Gewalt zur Durchsetzung der gesetzlichen Auskunftspflicht müsse der Grundsatz der VerhältnismäÃigkeit beachtet werden. Körperliche Gewalt zur Durchsetzung der Auskunftspflicht darf also nur zu dem Zweck eingesetzt werden, überragend wichtige Rechtsgüter, wie eben das Leben von Menschen, zu schützen. Kein vernünftiger Mensch käme auf die Idee, in all diesen Fällen von »Folter« oder einer »Verletzung der Menschenwürde« zu sprechen, wenn diese MaÃnahmen innerhalb des gesetzlichen Rahmens unter Beachtung des Grundsatzes der VerhältnismäÃigkeit durchgeführt werden. Was zur Beweissicherung bei einer folgenlosen Trunkenheitsfahrt zulässig ist, soll zur Verhinderung eines Mordes an einem unschuldigen Kind verboten sein?
Darf die Anwendung unmittelbaren Zwanges zur Abgabe einer Erklärung erfolgen?
Unmittelbarer Zwang ist ein feststehender Begriff aus dem Polizeirecht und in allen Polizeigesetzen des Bundes und der Länder klar definiert als »Einwirkung auf Personen oder Sachen durch körperliche Gewalt, durch Hilfsmittel und durch Waffen«. Das Hessische Sicherheits- und Ordnungsgesetz (HSOG) widmet diesem Bereich zehn Paragrafen mit 32 Absätzen. Als »körperliche Gewalt« wird darin »jede unmittelbare körperliche Einwirkung auf Personen oder Sachen« bezeichnet, und als »Hilfsmittel« gelten insbesondere Fesseln, Wasserwerfer, technische Sperren, Diensthunde, Dienstpferde, Dienstfahrzeuge und Sprengmittel (§ 55 HSOG). Die Gewalteinwirkung erfolgt durch definierte »Polizeigriffe«, die weitgehend den Regeln des Deutschen Sportbundes entsprechen und tagtäglich in Hunderten von Sporthallen angewandt werden.
»Die polizeirechtlichen Vorschriften des HSOG bieten keine Ermächtigungsgrundlagen für die zwangsweise Durchsetzung einer Aussage, sondern verbieten sie«, schrieb die 27. GroÃe Strafkammer, die uns verurteilt hatte; auch die allgemeine Schutzpflicht des Staates und seiner Institutionen, wie zum Beispiel der Polizei, gewähre keine diesbezüglichen Eingriffsbefugnisse. Zwar sei Gäfgen Störer im Sinne des § 6 Abs. 1 HSOG und damit nach § 12 Abs. 2 HSOG auskunftspflichtig gewesen, nach § 52 Abs. 2 HSOG sei aber unmittelbarer Zwang zur Abgabe einer
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