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Um Leben Und Tod

Um Leben Und Tod

Titel: Um Leben Und Tod Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Hoehn , Ortwin Ennigkeit
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[LT-Drucksache] 13/6545 vom 20.09.1994). Daraus folgt, dass der Staat zum Schutz seiner Bürger mindestens das leisten muss, was der Bürger zu seinem Schutz selbst unternehmen dürfte.
    Die Polizeibehörden der Länder haben deshalb die Aufgabe und die gesetzliche Befugnis, Gefahren für die öffentliche Sicherheit und Ordnung abzuwehren. »Öffentliche Sicherheit« bezeichnet die Gesamtheit der Rechtsgüter der Allgemeinheit und des Einzelnen, deren Schutz im öffentlichen Interesse liegt.
    Eine Regelung aller unvorhersehbaren Lebensbereiche ist nicht möglich.
    Die Pflicht zur Nothilfe kann sich »insbesondere aus dem öffentlichen Recht für die Polizei ergeben, deren Aufgabe gerade die Gefahrenabwehr und Verbrechensverhütung ist. Denn dem Einzelnen und der Allgemeinheit ist nicht damit gedient, dass der Täter für seinen rechtswidrigen Angriff, soweit er eine strafbare Handlung ist, später bestraft wird; es ist vielmehr notwendig und ›geboten‹, dem Angegriffenen sofort gegen die Bedrohung zu helfen, den Angreifer sofort an der weiteren Tatausführung zu hindern« (siehe Leipziger Kommentar zum StGB, § 32 Rdnr. 328).
    Ob eine »Gefahr« vorliegt, ist anhand der zum Zeitpunkt der Entscheidung vorhandenen Erkenntnismöglichkeiten zu beurteilen und nicht, wie dies unsere Richter getan haben, aus nachträglicher Sicht. Getroffene Maßnahmen bleiben auch dann rechtmäßig, wenn der befürchtete Schaden zwar nicht eingetreten ist, das Wahrscheinlichkeitsurteil aber objektiv gerechtfertigt war.
    Daraus folgt, dass sich die Intensität der polizeilichen Eingriffsbefugnisse an dem Grad der Gefahr zu orientieren hat, die dem Einzelnen oder der Allgemeinheit droht.
    So legt beispielsweise § 12 Abs. 2 Hessisches Sicherheits- und Ordnungsgesetz (HSOG) fest, dass die Rechte der Auskunftsverweigerung (§§ 52 bis 55 der StPO) nicht gelten, wenn die Auskunft »für die Abwehr einer Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit einer Person erforderlich« ist. Gäfgen hätte also aussagen müssen, wo sich Jakob befand, da sich der Junge zweifellos in einer »gegenwärtigen Gefahr für Leib oder Leben« befunden hatte.
    Eine Gefahr ist »gegenwärtig«, wenn bei natürlicher Weiterentwicklung der Dinge der Eintritt eines Schadens sicher oder doch höchstwahrscheinlich ist, falls nicht alsbald Abwehrmaßnahmen ergriffen werden, oder wenn, anders ausgedrückt, der ungewöhnliche Zustand nach menschlicher Erfahrung und natürlicher Weiterentwicklung der gegebenen Sachlage jederzeit in einen Schaden umschlagen kann (BGH 5 StR 586/88).
    Ich könnte weiter Gesetz um Gesetz auflisten, das die Richtigkeit unseres Handelns bezeugt. Ich bleibe bei einer kleinen Auswahl, da ich mir der Kompliziertheit der juristischen Sprache bewusst bin.
    Wie hätten wir Jakob sonst retten, ihn schützen können vor seinem potenziellen Mörder?
    Die Freiheit der Polizei in der Wahl ihrer Mittel zum Schutz des Lebens kann sich in besonders gelagerten Fällen auch auf ein bestimmtes Mittel verengen, wenn ein effektiver Lebensschutz auf andere Weise nicht zu erreichen ist (BVerfG, Urt. v. 16.10.1977, NJW 1977, 225).
    Mit dem Schusswaffengebrauch hätte der Verwahrort des entführten Kindes wohl kaum in Erfahrung gebracht werden können.

    Ist der unmittelbare Zwang zur Gefahrenabwehr verwerflich?
    Die Anwendung unmittelbaren Zwanges zur Gefahrenabwehr ist zulässig, wenn andere Zwangsmittel nicht in Betracht kommen oder keinen Erfolg versprechen oder unzweckmäßig sind (§ 52 Abs. 1 HSOG). Die Zwangsmittel sind nach Möglichkeit vorher anzudrohen (§ 53 Abs. 1 S. 1 HSOG).
    Die Einwirkung auf die Willensbildung und Willensbetätigung mittels Zwangsandrohung an sich ist nicht verwerflich. In allen Rechtsordnungen der Welt ordnet die Polizei als Teil der öffentlichen Gewalt jeden Tag unzählige Male von der Rechtsordnung gebotene Maßnahmen an, die ausschließlich den Zweck verfolgen, Gefahren für die Sicherheit des Einzelnen oder der Allgemeinheit abzuwehren. Die Eingriffsqualität ist unterschiedlich, beispielsweise ein Platzverweis, die Aufforderung zur Herausgabe von Gegenständen oder zum Ablegen von Waffen, die Durchsetzung einer Blutentnahme oder einer Verhaftung. Wenn sich ein betrunkener Autofahrer gegen die angeordnete Blutentnahme wehrt, wird gegen ihn unmittelbarer Zwang eingesetzt –

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