Um Leben Und Tod
Prolog
Der elfjährige Frankfurter Bankierssohn Jakob von Metzler ist am 27. September 2002 entführt und ermordet worden.
Magnus Gäfgen hat auf Nachfragen der Polizei nach Jakobs Verbleib geschwiegen oder gelogen. Erst nach einer Befragung durch mich hat Gäfgen mitgeteilt, wo wir Jakob schlieÃlich â zu unserem Entsetzen nur noch tot â finden würden.
Ãber diese Befragung, durch die wir ausschlieÃlich den Aufenthaltsort des womöglich noch lebendigen Jakob erfahren wollten, wurden viele Unwahrheiten in die Welt gesetzt.
Gäfgen hat es zusammen mit seinen Anwälten geschafft, seine Vernehmung durch mich als »Folter« zu etikettieren und sich auf diesem Nebenschauplatz vom Täter zum Opfer hochzustilisieren.
Sein durchsichtiges Bemühen, den damaligen Polizeivizepräsidenten Wolfgang Daschner und mich auf diese Weise zu »Tätern« und Angeklagten zu machen, hatte Erfolg. Der Prozess gegen Daschner und mich schleppte sich hin bis zum Ende des Jahres 2004. Am 21. Dezember 2004 wurden wir schlieÃlich in Form einer Verwarnung mit Strafvorbehalt verurteilt.
Schon damals beschäftigte ich mich mit dem Gedanken, ein Buch über das gesamte Geschehen zu schreiben. Dafür hatte ich zwei entscheidende Gründe:
Am Ende der Hauptverhandlung wurde deutlich, dass ein »politisches Urteil« über uns gefällt wurde, in einem Prozess, in den die Gräueltaten der nationalsozialistischen deutschen Vergangenheit miteinbezogen wurden. Dass es sich hier um ein politisches Urteil gehandelt hat und die Verurteilung falsch gewesen ist, stellt nur meine eigene, persönliche Meinung und nicht die der Behörde bzw. des Landes Hessen dar.
Bestimmte Sachverhalte, die zu unserer Entlastung enorm wichtig gewesen wären, nämlich die Frage, ob es überhaupt noch Alternativen zur letzten, nunmehr so umstrittenen Befragung Gäfgens gegeben hätte, wurden deshalb nur unvollständig oder überhaupt nicht erörtert.
Darum wollte ich die über den Fall Gäfgen hinausreichende Problematik â Wie weit darf und muss man gehen, um das Leben eines Menschen zu retten? â weiter diskutieren und möglicherweise zu einem Ergebnis kommen. Mit dem Ziel vor Augen, eine Handlungssicherheit für mögliche zukünftige ähnliche Situationen zu erreichen. Es sollte geklärt werden, ob in unserer Rechtsordnung in extremen Ausnahmefällen wie dem vorliegenden die Menschenwürde des Opfers geringer bewertet werden darf als die des Täters und ob das Wohlbefinden eines Verbrechers Vorrang haben soll vor Leben, Freiheit und körperlicher Unversehrtheit seines Opfers.
Es war für mich selbstverständlich, dass ich nur schreiben würde, wenn die Familie des Opfers damit einverstanden wäre. Ich wollte ihr auf keinen Fall zusätzliche Schmerzen zufügen, indem ich alte, schwer heilende Wunden aufriss. Der Vater Friedrich von Metzler hatte jedoch Verständnis für mein Anliegen.
Auch vertraute Kollegen, Juristen, Gewerkschaftler und nicht zuletzt meine Familie bestärkten mich in meiner Absicht. Nach der Urteilsverkündung dauerte es allerdings eine Weile, bis ich mich halbwegs von dem Geschehen erholt hatte. Immer wieder setzte ich mich hin, um mit dem Schreiben anzufangen; aber die Gedanken an das Erlebte belasteten mich noch zu sehr und so schob ich es hinaus. Ich musste erst den nötigen Abstand gewinnen.
Am Rande bekam ich mit, dass Gäfgen Ende 2005 Prozesskostenhilfe beantragt hatte, um einen Zivilprozess gegen das Land Hessen zu führen; er wollte auf diese Art und Weise Schmerzensgeld und Schadenersatz für die angeblich erlittene Folter erhalten.
Im Februar 2008 entschied das Bundesverfassungsgericht trotz erheblicher Zweifel an dessen Erfolgsaussicht, dass Gäfgen für das Amtshaftungsverfahren Prozesskostenhilfe zu gewähren sei. Nur so sei es möglich, die schwierigen und ungeklärten Rechtsfragen des Hauptverfahrens nicht schon im dafür nicht geeigneten Kostenverfahren vorab zu entscheiden.
Gäfgen und sein erster Anwalt Endres hatten in Teilen der öffentlichen Wahrnehmung aus einem Kindsmörder ein Folteropfer gemacht, und er und sein neuer Anwalt Heuchemer hatten das politische Urteil gegen Daschner und mich prozessual geschickt benutzt, um vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) eine Individualbeschwerde gegen die Bundesrepublik Deutschland zu richten mit
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