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Um Mitternacht am schwarzen Fluß

Um Mitternacht am schwarzen Fluß

Titel: Um Mitternacht am schwarzen Fluß Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Wolf
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geöffnete Fenster hörte Werdy
nur das leise Plätschern des Flusses.
    Der Italiener lehnte sich aufs Lenkrad.
Für einen Moment schloß er die Augen.
    Werdy öffnete die Tür, stieg aus und
reckte sich.
    Waldesluft! dachte er. Riecht nicht
übel.
    Er stapfte durchs Gras bis zum Ufer,
dann zur Mühle.
    Ein Steg mit Geländer führte zum
Eingang.
    Der Steg war verwittert, aber man
konnte ihn betreten ohne Lebensgefahr.
    An der stabilen Tür befand sich ein
schwerer Riegel. Er war rostig. Das Vorhängeschloß, das ihn sicherte, war neu.
    Hat der Chef angebracht, dachte Werdy.
Wozu? Wenn einer von uns Wache schiebt, ist es überflüssig.
    Carlo kletterte aus dem Führerhaus. Er
zog eine flache Schachtel aus der Tasche. Sie enthielt aufputschende Tabletten.
Er schluckte drei und verzog das Gesicht.
    „Doping (Anwendung von
Anregungsmitteln)“, meinte er. „Hab mich schon zu sehr gewöhnt an das Zeug.
Eines Tages falle ich tot um.“
    „Wir alle, Mann, fallen eines Tages tot
um. Aber ein Ochse wie du lebt lange. Trotz Doping.“
    Carlo spuckte ins Gras.
    „Wann wollte der Chef hier sein?“
    „Er wird bald kommen.“
    „Dann kann er mit anfassen.“
    „Mach dich nicht lächerlich. Er ist der
Chef. Er bezahlt. Für die Knochenarbeit sind wir zuständig.“
    Sie öffneten die Heckklappe und
kletterten in den Laderaum. Er war temperiert (Wärme und Kälte regeln), nämlich lebensmittelkühl, der Geruch von Käse atemraubend.
    Früher hatte Werdy gern Käse gegessen.
Seit er ihn tonnenweise transportierte, konnte er ihn weder riechen noch zu
sich nehmen.
    Sie wühlten die Waffenkisten hervor.
Alle waren beschriftet. Vier Kisten enthielten Colt Peacekeeper-Revolver im
Kaliber 357 Magnum; in den anderen Kisten befanden sich Smith-and-Wesson-Pistolen
der 59er-Modellreihe.
    Gemeinsam schleppten sie die erste
Küste über den Steg zur Mühle.
    Das Vorhängeschloß sicherte die Tür.
    Aber sie wußten, wo sich der Schlüssel
befand.
    „Der Chef sagte, daß er ihn unter das
lockere Brett rechts des Eingangs schiebt“, murmelte Werdy.
    Er suchte und fand den Schlüssel.
    Als sie öffneten, drang ihnen
abgestandene Luft entgegen. Es roch nach Staub und ausgetrocknetem Holz. Durch
die kleinen Fenster fiel das Licht der Nachmittagssonne herein.
    „Bin noch nie in einer Mühle gewesen“,
meinte Carlo und sah sich um.
    „Ich schon.“ Werdy setzte seine Seite
der Kiste zu Boden. „Wo ich aufgewachsen bin, gab’s eine Windmühle. Nach dem
Zweiten Weltkrieg war die noch in Betrieb. Die Bauern brachten ihr Korn hin zum
Mahlen. Manchmal durfte ich zusehen.“
    Fachkundig ließ er den Blick schweifen.
    „Das dort ist der Mühlstein mit
Hauschlag und Sprengschärfe — so nennt man Luft- und Mahlfurche. In der Mitte
ist das Mühlsteinauge. Der Trichter, in den das Korn geschüttet wird, nennt
sich Gosse. Das Windmühlengetriebe heißt Trilling. Unten aus dem Rundsichter
kommt das fertige Mehl raus, fällt in einen Holzbottich — den dort — und wird
dann in Säcke abgefüllt. Säcke sehe ich nicht. Auch die Geräte sind weg. Klar!
So was kann man klauen. Den Mühlstein mitzunehmen, ist schwerer.“
    Ein Fenster war zerbrochen.
    Fledermäuse und/oder Wildtauben hatten
Zuflucht gesucht und die Dielen verschmutzt.
    „Und bis morgen abend sollen wir
hierbleiben“, murrte Carlo.
    Sie hatten sich geeinigt, die Wache
gemeinsam zu übernehmen. Es lohnte nicht, die verbleibenden 30 Stunden
aufzuteilen. Andererseits war keiner der beiden bereit, allein die Zeit zu
opfern.
    Sie waren Junggesellen. Niemand wartete
auf sie. Werdy hielt nichts von ständiger Zweisamkeit. Carlo wünschte sich eine
eigene Familie, fand aber keine Frau. Die Liste seiner Freundinnen war endlos.
Doch seine aufbrausende Art hatte alle vertrieben.
    Nach der langen Tour, die sie jetzt
hinter sich hatten, standen beiden zwei freie Wochentage zu. Das war üblich in
der Spedition Kambärt. Erst Mittwoch früh begann für die beiden wieder der Job,
denn am Samstag und Sonntag stiegen sie ohnehin in keinen Lastzug.
    Eine Kiste nach der anderen schleppten
sie in die Mühle.
    Als sie die letzte verstaut hatten, hob
Carlo lauschend den Kopf.
    Auch Werdy hörte das Motorengeräusch.
    Ein Wagen näherte sich.
    „Der Chef“, sagte Werdy.

4. Gefährlicher Staub
     
    Ausgerechnet heute!
    Tim hätte Dr. Elwenbroich am liebsten
gefesselt, mit einem Knebel gestopft und in die Ecke gelegt. Natürlich ging das
nicht. Mit einem Biologie-Lehrer kann man so nicht umgehen - auch

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