Umwege zum Glück
erfahren, daß die Kaiserin sich morgen auf eine ganz private Reise nach Deutschland begibt. Sie wird nur von einer Hofdame und der Kammerzofe begleitet und reist unter dem Namen“ – Jessica machte eine Pause, dachte nach. Ihr Blick schweifte über mein Bücherregal, wo aus unerfindlichen Gründen Goethe sei mit seinem „Faust“ vertreten war. Mutti hatte mir geholfen, die Bücher zu packen; den Faust schiebe ich ihr in die Schuhe. Dann schrieb Jessica weiter:
„Marthe Schwerdtlein. Also, sie wird per Bahn am Sonntag den 23. nach Kiel kommen. Sie fährt die Nacht durch und kommt mit dem Zug frühmorgens 5.52 Uhr an. Sie fährt ganz unauffällig in einem gewöhnlichen 1. Klasse-Wagen, und um nicht erkannt zu werden, hat sie ihre Haare goldblond färben lassen. Falls gutes Wetter ist, trägt sie ein – “ Jessica überlegte, lachte vor sich hin – „zart lila Kostüm mit Silbernerz, falls Regen“ („Mensch, Reni, was trägt eine Kaiserin bei Regen? Na, ist ja auch egal.“) – „einen durchsichtigen rosa Plastikmantel. Sie fährt anschließend per Taxe, die am Seiteneingang des Bahnhofes auf sie wartet, zum Hotel Conti, wo sie frühstücken und sich ausruhen wird. Dann zieht sie sich um – wahrscheinlich Chinchillapelz – geht zu Fuß zum Oslokai und besteigt das Schiff, und es geht nordwärts. Also, wenn du sie aus allernächster Nähe sehen möchtest, mußt du sehr früh aufstehen! Sieh zu, daß du nicht verschläfst. Und wie gesagt, kein Wort! Wenn Kai wüßte, daß ich dir dies erzählt habe, würde er mir bestimmt ganz böse werden. Er kann jeden Augenblick kommen, ich mache Schluß und laufe zur Post. Viel Vergnügen, herzliche Grüße
Deine Madeleine.“
Jessica las stolz ihr Werk durch.
„Wenn sie auf diese Geschichte reinfällt…“ sagte ich. „Das mit den goldblonden Haaren ist eben zuviel! Und dann Marthe Schwerdtlein!“
„Warte es ab!“ sagte Jessica. Sie faltete den Brief zusammen und steckte ihn in Madeleines Eilbriefkuvert. „Morgen läßt du diesen Brief liegen – nein, nicht mitten auf dem Tisch, das wäre zu auffällig. Paß auf, wir stecken ihn in ein Buch – so, jetzt guckt die Eilpostmarke so schön raus –, und das Buch läßt du auf dem Nachttisch liegen, so daß die Ecke des Briefes ganz genau auf die Tischecke zeigt, siehst du, so! Und dann stellst du deinen Wecker übermorgen auf fünf und tust so, als ob du aufstehst. Dann glaubt sie erst recht an die ganze Sache.“
„Jessica!“ sagte ich. „Du bist eine ganz Gerissene!“
„Ich bin bei Falko in die Lehre gegangen“, schmunzelte Jessica. „Du, er wird sich totlachen, wenn ich dies erzähle!“
„Nur noch eine zweite Tasse Kaffee“, sagte ich und schaltete den Schnellkocher ein. „Nachher muß ich lernen!“
Am folgenden Tag stellte ich mit Genugtuung fest, daß das Buch auf meinem Nachttisch ein Ideechen anders lag und daß nur die Hälfte der Eilpostmarke sichtbar war. Abends stellte ich mit gemischten Gefühlen den Wecker auf fünf. Der Gedanke, so früh aus dem Schlaf gerissen zu werden, und das an einem Sonntag, war mir furchtbar; aber noch furchtbarer wäre es, wenn Frau Hansen sich zum Bahnhof begeben sollte, ohne daß ich es wußte!
Ich wachte auf – nicht durch das Klingeln des Weckers, ich schaffte es grade noch, ihn abzustellen, bevor er einen Ton von sich gegeben hatte. Was mich weckte, waren kleine Geräusche aus der Küche. Ein Wasserhahn wurde aufgedreht, eine Gasflamme angemacht, Pantoffelschritte über den Terrazzofußboden. Es war viertel vor fünf.
Neue Schritte, diesmal von festen Straßenschuhen. Kaffee wurde eingegossen. Na, sie wollte sich wohl stärken, bevor sie ihre Expedition machte. Zu Fuß! Sonntags fuhren die Straßenbahnen ja nicht so früh.
Fünf nach fünf verließ meine holde Wirtin das Haus. Es war noch stockfinster draußen, aber im Licht einer Straßenlaterne sah ich sie grade noch um die Ecke verschwinden.
Was war es für ein Genuß, in das warme Bett zurückzukriechen!
Wenn ich natürlich auch zu gern ein Mäuschen in einer Ecke der Bahnhofshalle gewesen wäre!
Die Donnerstagstanten
„Habe ich es gut!“ sagte Jessica und kuschelte sich förmlich in den Sitz neben mir. „Du bist ein Glückspilz, Reni!“
„Weil ich den Theodor habe, meinst du?“
„Ja, im Augenblick meinte ich das. Es ist himmlisch, per Auto zum Donnerstagsabend gebracht zu werden. Und Anke wird sich freuen! Es ist lieb von dir, daß…“
„Daß ich drei Minuten
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