und das Haus in den Huegeln
schrie und schrie.
Der Hausvater und Rocho eilten
zu ihr und trugen sie hinaus.
Als sie mit ihrer Last an
Sandra vorbeikamen, erkannte diese in dem Mädchen, das jetzt ohnmächtig zu sein
schien, eine der Missionierenden vom Weihnachtsmarkt. Es war das Mädchen, das
sich nach Sandra umgeblickt hatte, als Sandra ihr Bedauern darüber äußerte, daß
die Leute am Antiquitätenstand die Sektenanhänger so unfreundlich behandelten.
Sandra hatte sie damals nach Jutta gefragt.
Ein dumpfer Gongschlag beendete
nach einer Stunde die Gebetsveranstaltung.
Die Familie versammelte sich in
einer großen, alten Bauernküche um einen langen Holztisch zum Abendessen.
Es gab eine dünne, fleischlose
Gemüsesuppe und Brot.
Sandra hätte mühelos die
dreifache Menge essen können. Doch der Hausvater teilte jedem nur einen
einzigen Schöpflöffel voll Suppe und eine Scheibe Schwarzbrot zu.
Kein Wunder, daß die alle hier
unterernährt aussehen, dachte Sandra und blickte sich in der Runde um.
Das Tamburin-Mädchen fehlte.
„Was ist mit dem Mädchen, das
sie vorhin hinausgetragen haben? Ist sie krank?“ fragte Sandra flüsternd den
Jungen, der links neben ihr saß. Er hieß Daniel und kam aus Schweden.
„Sie fastet“, lautete die
unklare Antwort.
„Nur heute abend oder schon
länger?“
„Seit zwei Wochen.“
Sandra verschluckte sich fast
an einer Brotkrume, so ungeheuerlich fand sie das. Von diesen kargen Rationen
mußte das Mädchen doch völlig entkräftet sein. Und dann fastete sie auch noch!
„Freiwillig — oder muß sie?“
erkundigte sie sich.
„Sie hat Probleme. Sie kann ihr
Soll nicht erfüllen. Um sich dafür zu bestrafen, fastet sie. Selbstverständlich
ist der Hausvater damit einverstanden“, erwiderte Daniel und kratzte mit dem
Löffel seinen Teller aus.
„Aber dann wird sie ja immer
schwächer. Wie will sie dann arbeiten können? Was für ein Soll kann sie denn
nicht erfüllen?“
„Camilla hat sich beim
Missionieren nicht bewährt. Wir sind verpflichtet, jede Woche einen gewissen
Mindestbetrag für die Familie und unsere Glaubensgemeinschaft zusammenzutragen.
Ich habe gestern und heute fast dreihundert Mark abgeliefert“, berichtete
Daniel stolz.
„Mit Betteln?“
„Oh, das ist ganz leicht“,
versicherte Daniel lachend, als er Sandras entsetzten Gesichtsausdruck
bemerkte. „Das lernst du alles im Trainingszentrum. Sie bringen dir bei, wie du
die Leute ansprechen mußt, und wie du es anstellst, unserer Familie neue
Mitglieder zuzuführen.“
„Das könnte ich nie!“
„Du mußt Ausschau halten nach
Leuten, die traurig aussehen. Dann fragst du sie, ob sie mit ihrem jetzigen
Leben zufrieden sind. Und wer ist nicht traurig, und wer ist schon zufrieden?“
„Und dann?“ fragte Sandra
gespannt, als Daniel schwieg.
„Dann verwickelst du den Jungen
oder das Mädchen in ein Gespräch. Ich sage zum Beispiel immer: ,Wir sind eine
ganz gefährliche Vereinigung. Willst du uns nicht einmal kennenlernen?‘ Dann
lachen wir zusammen, und das Eis ist gebrochen! Damit bringe ich jeden dazu,
mit mir zu gehen“, behauptete Daniel selbstbewußt.
Sandra schüttelte ungläubig den
Kopf. „Das kann ich mir nicht vorstellen.“
„Oh, es ist noch ein kleiner
Trick dabei“, erläuterte Daniel lächelnd und blickte Sandra mit einem Blick an,
der sie völlig gefangennahm. „Du mußt dich mit dem Blick der Liebe auf deinen
Gesprächspartner konzentrieren. Auch das lernst du im Trainingszentrum. “
„Wie geht das vor sich?“
„So wie gerade jetzt! Ich mache
die Augen ganz weit auf. Ich konzentriere mich — lächle. Ich schaue dir voll in
die Augen und lege meine ganzen Gefühle in meinen Blick“, flüsterte Daniel
bedeutungsvoll.
Sandra fühlte, wie ihre Knie
weich wurden.
Sie räusperte sich, um den Bann
abzuschütteln. Sie versuchte, ganz normal auszusehen. Doch es gelang ihr erst,
als der Hausvater das Tischgebet zu sprechen begann, das die Mahlzeit beendete.
Sandra versucht zu fliehen
Als der Hausvater die Küche
verließ, folgte ihm Sandra und sprach ihn an: „Ach, bitte, darf ich jetzt mit
meiner Mutter telefonieren? Sie sorgt sich um mich. Ich muß ihr wenigstens
sagen, wo ich bin.“
Der Hausvater blickte sie kalt
an. „Ist dir das noch immer so wichtig?“
Sandra nickte heftig.
„Also gut, ich werde sie
benachrichtigen.“ Der Hausvater öffnete die Tür zu seinem Büro. „Schreibe mir
die Telefonnummer auf. Ich erledige es später.“
„Kann ich nicht
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