und das Haus in den Huegeln
erwiderte
Sandra, weil sie im Augenblick nichts anderes zu sagen wußte.
„Wenn du erst einmal unsere
Schulungskurse mitgemacht hast, wird es dir ganz leichtfallen, unsere
Einstellung zu begreifen. Wir haben großartige Dozenten. Du wirst sie im
Trainingslager kennenlernen“, versicherte Jutta-Judith begeistert.
Besser nicht! dachte Sandra.
Laut fragte sie: „Wo ist das Trainingslager?“
„Es gibt mehrere. Für uns ist
die Burger-Mühle im Spessart, in der Nähe von Frankfurt, zuständig.“
Daher also der Frankfurter
Poststempel auf ihrem Brief, stellte Sandra fest.
„Und wo sind wir hier?“
„In einer unserer Kolonien.“
„Wie heißt der Ort?“
Bevor Jutta-Judith antworten
konnte — oder durfte — , denn Sandra bemerkte, daß sie zögerte, wurde ihr
Gespräch von Rocho unterbrochen. Er hatte den Plattenspieler abgestellt und
schlug jetzt einen Gong. Das Dröhnen des Gongs rief die Familie zum Gebet.
Das Singen und Stimmengemurmel
verstummte. Zwei Mädchen trugen vier Kerzen in hohen Bodenleuchtern herein.
Rocho zündete die Kerzen an. Ein Junge knipste die Deckenlampe aus.
Wieder ertönte der Gong.
Die Sendboten gruppierten sich in einem Halbkreis um die Kerzen und sanken auf die Knie.
Sandra folgte ihrem Beispiel,
wobei sie bekümmert die harten, kalten Fliesen unter sich spürte.
Der Hausvater trat ein.
Die Gebetsstunde begann. Sie
wurde mit einem gemeinsamen Lied eröffnet. Dann sprach der Hausvater eine Art
Litanei vor, deren einzelne Strophen von den Sendboten mit einem
jubelnden „Halleluja“ beantwortet wurden. Darauf folgte eine Predigt, die vom
Satan handelte, aus dessen Klauen die Sendboten befreit werden müßten.
„Wenn du Probleme hast, dann
faste! Wenn du in deinem Dienst versagt hast, faste! Wenn du an dir zweifelst,
faste! Dann wird dein Geist leicht und frei, und Satan verliert seine Macht
über dich!“ rief der Hausvater der Gruppe zu.
Er fuhr fort: „Laßt uns Tränen
vergießen für die Errettung der Menschen! Laßt sie uns von ihren irdischen
Gütern befreien, damit sie die wahren Werte des Lebens erkennen! Laßt uns
hinausgehen und Liebe verbreiten, aber auch Schrecken und Furcht, damit die Welt
aufwacht und begreift, daß das Ende nahe ist! Ihr seid Auserwählte, Sendboten
des Herrn, Halleluja...“
Der Hausvater hatte zuerst mit
sanfter, kaum hörbarer Stimme gesprochen. Doch dann wurde er immer fanatischer
und steigerte seine Stimme schließlich zu lautem Schreien.
Sandra litt Qualen. Nicht der
Predigt wegen, denn ihr Inhalt setzte sie eher in Erstaunen als in Furcht. Sie
konnte nicht begreifen, daß die hier versammelten Jugendlichen die wahren
Motive dieser Sekte nicht durchschauten. Aber wahrscheinlich waren sie in den
Trainingslagern so lange beeinflußt worden, daß ihre Urteilsfähigkeit getrübt
war.
Die Menschen von ihren Gütern
befreien! Um diese Güter der Sekte zuzuführen, damit ihre Führer auf Kosten
anderer gut leben konnten! Seine Worte klingen beeindruckend, aber schließlich
steht etwas ganz anderes dahinter, dachte Sandra.
Sie litt körperliche Qualen.
Und sie kam sich kein bißchen verloren vor, weil die Bedürfnisse ihres Körpers
jetzt mächtiger waren als die Erleuchtung, die sie hier erfahren sollte.
Sie hatte Hunger, nagenden
Hunger, und sie fror. Ihre Knie schmerzten vom ungewohnten Knien auf dem harten
Steinboden. Und sie mußte dringend zur Toilette. Seufzend verlagerte sie das
Gewicht ihres Oberkörpers von den Knien auf ihre Füße, indem sie sich mit dem
Gesäß an die Fersen lehnte.
Nach einer Ewigkeit, wie es
Sandra schien, ging die Predigt zu Ende. Doch noch immer löste der Hausvater
die Versammlung nicht auf. Er befahl den Sendboten im Gegenteil, sich im
Meditieren zu üben.
Tiefe Stille breitete sich im
Raum aus.
Kerzengerade horchten die Sendboten mit erhobenen Gesichtern und geschlossenen Augen in sich hinein — oder was
sonst immer sie tun, dachte Sandra. Meditieren bedeutet Nachdenken, sinnende
Betrachtung, wahre religiöse Versenkung, soviel wußte sie. Aber dies hier mußte
etwas anderes sein. Unter halbgeschlossenen Lidern blinzelte Sandra vorsichtig
in die Runde. Sie sah verzückte Gesichter, gequälte, schmerzverzerrte, und auch
heiter gelöste; doch alle wirkten sie blaß, mager und unterernährt.
Plötzlich durchschnitt ein
Schrei die Stille.
Eines der Mädchen hatte sich
mit ausgebreiteten Armen auf den Boden geworfen. Sie strampelte mit den Beinen,
trommelte mit den Fäusten auf die Fliesen und
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