Und der Basilisk weinte (German Edition)
befürchtete nämlich, dass Selms Geständnis nur für dessen Verurteilung reichen würde.
Es wurde einer der grössten Schauprozesse der Stadt. Medienleute aus ganz Europa berichteten darüber. Bei Prozessbeginn widerrief Robert Selm durch seinen Anwalt, Dr. Gregor Hartmann, seine Aussage. Er sei zu diesem Zeitpunkt von der Polizei derart unter Druck gesetzt worden, dass er gestanden habe, um endlich in Ruhe gelassen zu werden. Der Prozess wurde daraufhin zur Farce. Alle vier erklärten, zum angegebenen Zeitpunkt nicht in der Nähe der Augustinergasse gewesen zu sein. Auch die Zeugin, die bisher ausgesagt hatte, einen der Angeklagten gesehen zu haben, kippte um. Dem Richter blieb nichts anderes übrig, als die vier freizusprechen.
Den Akten lag ein Foto bei, das die vier Jungs mit Siegermienen vor dem Gerichtsgebäude zeigte, in der Mitte stand der strahlende Verteidiger, Dr. Gregor Hartmann. Ein weiteres Bild zeigte die Eltern und die Schwester von Beat Fahrner. Die Schwester tröstete die am Rande eines Nervenzusammenbruchs stehende Mutter. Der Vater machte einen gefassten Eindruck. Ferrari holte eine Lupe aus der obersten Schublade seines Schreibtischs und konzentrierte sich auf den Vater. Es ist kein gefasster Eindruck, den er vermittelt. Wahrscheinlich starrt er zu den vier jungen Männern hin. Der Blick des Mannes wirkt wie eingefroren, so als ob dies noch längst nicht das Ende des Prozesses bedeuten würde. Eigenartig.
Ferrari klappte den Aktendeckel zu. Hat sich der Vater nach fünfzehn Jahren an einem der mutmasslichen Mörder seines Sohnes gerächt? Weshalb erst jetzt, nach so langer Zeit? Und weshalb gerade an Gissler? Gissler – Richter – Selm – Stähli. Alphabetisch? Dann ist Richter vielleicht der Nächste? Reine Spekulation. Wahrscheinlich wurde Gissler aus einem ganz anderen Grund ermordet. Aber zumindest ist es eine erste Spur.
Francesco Ferrari überquerte den Flur und klopfte an Nadines Bürotür.
«Hast du den Bericht gelesen?»
«Ja, ein Toter mit dunkler Vergangenheit. Warst du damals schon im Dienst?»
«Als Wachtmeister.»
«Wow! Und kennst du diesen Bernhard Meister, der die Ermittlungen leitete?»
«Er ist mein Vorgänger. Kurze Zeit später, als der Fall abgeschlossen war, ging er in den Ruhestand.»
«Mit fünfundsechzig?»
«Nein, mit achtundfünfzig. Er hatte die notwendige Anzahl Dienstjahre erreicht, um mit voller Pension in Rente gehen zu können. Der Fall gab ihm damals den Rest.»
«Aber es lag ja nicht an ihm, dass die Jungs wieder auf freien Fuss kamen.»
«Die Beweislage war sehr mager. Einer hat die Tat gestanden, drei haben sie bestritten. Mit dem Auftauchen von Staranwalt Hartmann war die Sache gelaufen.»
«Ein Staranwalt? Wer hat den bezahlt?»
«Ich nehme an, dass einer der vier oder sogar mehrere aus reichem Haus stammen. Dieser Hartmann hat dafür gesorgt, dass Selm seine Aussage zurückzog. Das war die grosse Sensation. Wenn ich mich nicht irre, gehörte Borer bereits zum Team des Ersten Staatsanwalts. Doch Dr. Gregor Hartmann zog alle Register und gewann.»
Nadine erhob sich.
«Dann gehen wir mal rüber.»
«Wohin?»
«Zu unserem verehrten Staatsanwalt.»
4. Kapitel
Jakob Borer sass vor dem Laptop und schrieb eine Rede. Zumindest versuchte er es. Nur zögerlich formierten sich die Buchstaben zu einzelnen Wörtern, deren höherer Sinn noch ungewiss war. Die Konzentration fiel ihm schwer, was nicht nur an der Hitze lag. Vielmehr fehlte ihm der Zugang zum Thema: die Jubiläumsfeier der Freien Schützen Beider Basel. Ausgerechnet ihn hatte man angefragt. Er, der ganz grundsätzlich nicht viel vom Schiessen hielt. Während seiner Dienstzeit hatte er jedes Mal das obligatorische Schiessen nur mit Mühe und Not bestanden. Und vor dem letzten Wiederholungskurs hatte er sogar sang- und klanglos versagt und sich dann beim Nachschiessen von einem Freund vertreten lassen. Der Schweiss lief ihm noch heute beim Gedanken über die Stirn, dass sie hätten erwischt werden können. Aber die alten Schiessspezies, die das Obligatorische abnahmen, kontrollierten nur vage, ob wirklich der Richtige im Schiessstand lag. Sein Freund Robert, heute immerhin ein renommierter Bankdirektor, gab ihm die gewünschte Schützenhilfe, im wahrsten Sinn des Wortes. Er schoss fröhlich drauflos und seinen Freund Jakob beinahe in die Ränge. Borer musste ihn bremsen, sonst wäre womöglich der Betrug aufgeflogen. So schoss Robert die letzten Kugeln einfach in den Himmel, sehr zum
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