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Und führe uns nicht in Versuchung

Und führe uns nicht in Versuchung

Titel: Und führe uns nicht in Versuchung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Vera Bleibtreu
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kam mit der gerahmten Urkunde zurück. «Na, dieses Prachtexemplar. Früher war da meist noch der gute Hirte abgebildet», erläuterte Susanne. «Bei Vogel ist es das Bild seiner Konfirmationskirche. Immerhin, er hat die Urkunde aufbewahrt. Und über seinen Konfirmationsspruch habe ich auch bei seiner Trauerfeier gepredigt.» Jens nahm den Bilderrahmen neu gierig in die Hand. «Und führe mich nicht in Versuchung, sondern erlöse mich von dem Bösen. (Matthäusevangelium) Zur Erinnerung an den Tag Deiner Konfirmation am 15. Mai 1966. Pfarrer Arndt Bökelmann», las er laut vor.
    «Heißt das nicht eigentlich: Führe uns nicht in Versuchung?» Susanne stimmte zu. «Eigentlich schon. Aber ich nehme an, Pfarrer Bökelmann wollte es für Steffen persönlicher formulieren, es sollte ja sein Konfirmationsspruch sein. Ich frage mich, ob er sich oft mit seinem Spruch auseinandergesetzt hat. Und was Pfarrer Bökelmann 1966 bewegt hat, dem jungen Steffen ausgerechnet dieses Wort aus dem Vater Unser auszusuchen. Damals war es bestimmt noch so, daß der Pfarrer den Spruch ausgesucht hat. Heute lassen die Kollegen häufig die Konfirmandinnen und Konfirmanden ihren Spruch selbst aussuchen. Das hat auch seine Vorteile. Wenn ich zum Beispiel an den schrecklichen Pfarrer denke, der mich konfirmiert hat.» Jens räkelte sich. «Was war denn mit dem?» fragte er. Susanne schüttelte sich bei der Erinnerung. «Ein furchtbar selbstgerechter und schrecklicher Mensch, komplett unsensibel. Mir glaubt es ja keiner, aber es war wirklich so. Eine Mitkonfirmandin war bei der Konfirmation schwanger, schon im sechsten Monat, man sah es deutlich, sie erwartete Zwillinge. Das arme Kind. Damals fand ich sie sehr unsympathisch, heute denke ich, sie war einfach unglücklich und verwahrlost. Und ich sehe sie noch deutlich vor mir, wie sie mit ihrem dicken Bauch mühsam auf der Konfirmationsbank kniet und mein Konfirmator in seiner kreischenden Tonlage verkündet: ‹Petra, dein Konfirmationsspruch steht im Buch der Sprüche: Wenn dich die bösen Buben locken, folge nicht.› Alle in der Kirche hielten sich die Hand vor den Mund, es war, als ob der ganze Raum bebte vor unterdrücktem Lachen. Und vorne quälte sich die arme Petra von der Kniebank hoch, um diesen bescheuerten Spruch entgegenzunehmen, knallrot im Gesicht. Du siehst, es gibt passende und unpassende Sprüche, und manche, die passen und trotzdem völlig unpassend sind.» Jens prustete: «Die arme Petra. Den Spruch hätte er ihr sieben Monate vorher geben müssen. Falscher Zeitpunkt. Was war eigentlich dein Konfirmationsspruch?» erkundigte er sich neugierig. Susanne mußte nicht lange überlegen: «‹Fürchte dich nicht, sei aufrecht und sei stark›. Manchmal hat mich das mit der Stärke auch überfordert, meistens fand ich dieses Pauluswort sehr tröstlich. Es hat mir immer sehr geholfen. Ich hatte mehr Glück als Petra. Aber bei mir haben es auch meine Eltern ausgesucht und sich beim Pfarrer durchgesetzt, daß ich diesen Konfirmationsspruch bekommen habe. Wie sie das geschafft haben, frage ich mich noch heute. Wer weiß, mit welchem Spruch ich durchs Leben traben müßte, wenn dieser Idiot ihn ausgesucht hätte. Irgendwie finde ich es schon wichtig, welchen Konfirmationsspruch man hat. Gibst du mir die Urkunde wieder?» Jens reckte sich, um Susanne die Urkunde zu geben. Dabei rutschte ihm die Urkunde aus der Hand, fiel auf den Boden. «Oh, Mist.» Beide bückten sich. Die Metallklammern auf der Rückseite des Bildes hatten sich gelöst. Der Pappdeckel war verrutscht. «Wie ärgerlich, und wie gut, daß das Glas nicht zersplittert ist. Warte mal, ich richte es schon wieder.» Susanne versuchte, den Pappdeckel wieder an seinen Platz zu bringen. «Das klemmt irgendwie, da steckt doch noch was hinter der Urkunde.» Susanne entfernte neugierig den Pappdeckel, ein mehrfach zusammengelegtes Papier fiel ihr entgegen.
    «Was ist denn das?» Susanne entfaltete das Blatt. «Schuld schein», las sie laut vor, «Hiermit bestätige ich, daß ich von Steffen Vogel 300 000 Euro geliehen und ihm die Summe nach Aufforderung binnen eines Monats zurückzuzahlen habe. Jens Maistrom.» Susanne ließ das Blatt sinken und blickte Jens entsetzt an. «Du hast dir von Vogel 300 000 Euro geliehen, das sind ja 600 000 Mark. Was soll das denn heißen, warum hast du mir das nie erzählt?» Jens war aus dem Bett gesprungen. «Gib das her», seine Augen funkelten. Susanne wich vor Jens zurück, sie drückte das Blatt an

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