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Bostjans Flug - Roman

Bostjans Flug - Roman

Titel: Bostjans Flug - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Suhrkamp-Verlag <Berlin>
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B oštjan war den Weg tatsächlich bereits unzählige Male gegangen, nie jedoch auf so leichte und unverwechselbare Weise wie jenes eine Mal. Eigentlich hatte er ihn somit nur ein einziges Mal durchschritten, damals, als ihm Lina im richtigen Augenblick und im Innersten zugestoßen war. Zugestoßen aber wäre sie ihm damals sowieso, auch wenn sie ihm nicht schon lange vorher den Kopf verdreht hätte. Genaugenommen hatte er den Weg erst wirklich hinter sich gebracht, als sich ihre Bahnen berührten, aus nächster Nähe aufeinandertrafen, wie zwei gespannte Bogen erklangen, sich krümmten, einander anglichen und dann wieder in ihre ursprüngliche Spannung zurückschwangen. Es gab keinen anderen Weg durch Tesen, und die Abzweigungen und Kehren, Engpässe und Felsbrocken in dieser Klamm, die Formationen zur Rechten und zur Linken, wie sie jeder Weg aufweist, hatten sich nach und nach in sein Gedächtnis eingeprägt, feste Umrisse bekommen und sich verselbständigt, weshalb Boštjan gar nicht weiter darauf achtete. Auch die Stelle, wo sich der Otavarsteig in den Weg hineinschob, war bis dahin nur eine von vielen in dieser auf Schritt und Tritt sich verändernden Landschaft gewesen. Er hatte dem Steig bisher keine besondere Aufmerksamkeit geschenkt, und wenn etwas seinen Blick auf ihn gezogen hatte, war es das seltsame Halbdunkel, das unvermittelt in einen dichten Fichtenjungwald überging. Als er sich später bemühte, tiefer in dieses Dunkel einzudringen, schien ihm aus einem unerfindlichen Grund, als
verdichte sich die Dunkelheit mit jedem Schritt, als schlänge und wickelte sie sich um seine Beine. Und während er sich durch das sperrige Gelände arbeitete, war ihm, als käme er vom Weg ab, als hemmte und lähmte ihn dieser Steig auf irgendeine Weise und hielte ihn mit Gewalt in seinem Einflußbereich zurück, so daß er in diesem Gewirr unwillkürlich den Schritt beschleunigte, dankbar, wenn in dem Moment von der anderen Seite, wo sich das Wirtshaus befand, irgendwelche rettenden Stimmen herüberklangen und das zudringliche Geschlinge um seine Beine vertrieben. Unzählige Male war er durch Tesen gegangen, und es gab vermutlich keine Stelle auf dem Weg, die sein Fuß noch nicht berührt hatte. Leicht und unbekümmert war er immer dahingeschritten, abwesend, stumm und leer oder in irgendwas vertieft, bis der Weg sich auf einmal so sonderbar verändert hatte und ihn wie ein Blitz aus heiterem Himmel traf. Und nur dieses eine Mal, als sie ihm zugestoßen war, ging er wirklich durch Tesen, war er zum ersten Mal ganz hindurchgegangen, wirklich und wahrhaftig, alle anderen Male schienen nicht zu zählen. Dieses eine Mal hob sich sein Gang über alle anderen Gänge hinaus, machte die früheren nichtig und blieb als einziger, der diesem Namen gerecht wurde, unvergessen, bekam Wert und Bedeutung für alle anderen.
    Boštjan hatte damals die Stelle, wo sich der Otavarsteig in den Weg hineindrängt, schon passiert, als er dort Geräusche hörte, oder mehr erriet als hörte. Er verlangsamte seine Schritte so sehr, daß er sich fast schon unmerklich fortbewegte, und horchte, wann die Geräusche den Weg herabkollern würden. Man konnte nicht wissen, wer daherkam, vielleicht der Förster, vielleicht einer von den Erwachsenen oder vielleicht sie. Unhörbar schritt Lina in der weichen Dunkelheit des Waldsteigs
dahin, die unter ihren Füßen nachgab und in das festgetretene Fichtennadelbett zurückwich. Hätte Boštjan nicht vorher bereits seinen Schritt gedämpft und die Ohren gespitzt, als er katzenleise und bang vor Hoffnung an der Abzweigung vorbeischlich, er hätte die Geräusche überhört, weil sie vom dichten Jungwald schon im vorhinein aufgefangen wurden. Am Eck, beim Zaun, der den Wald abhalten sollte, sich in den von einem moosigen Wiesenstreifen umrandeten Kartoffelacker auszubreiten, bog Lina vom Pfad ab, trat aus dem Dunkel des Waldes in das Licht des offenen Weges und glitt über das Geröll und die tief eingedrückten Radspuren.
    Boštjan sah Lina sonntags, wenn sich die Menschen in den Kirchenbänken von der Plagerei der Woche ausruhten. Schon sehr früh war er auf sie gestoßen, hatte seinen Blick auf sie geworfen, und von Mal zu Mal zog es ihn stärker zu ihr hin. Ob auf der Männerseite stehend oder ans Gestühl, an eine Säule gelehnt oder von der Menge eingeschlossen, er tastete sich auf seine Weise an Lina heran, die in der Mädchenschar auf der Frauenseite stand, den Mittelgang und einige Reihen von ihm entfernt.

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