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Und Jimmy ging zum Regenbogen

Und Jimmy ging zum Regenbogen

Titel: Und Jimmy ging zum Regenbogen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Johannes Mario Simmel
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verabschiedeten?«
    »Nun ja, seine Mutter sagte, sie wolle meinen Vater anrufen und beruhigen. Sie bestand darauf, daß wir jeder allein nach Hause fuhren. Wir folgten aufs Wort. Ich war so erschöpft, daß ich in der Straßenbahn einschlief und fast zu weit gefahren wäre. Sentimentaler Abschied? Natürlich. Wir gaben uns lange die Hand und sagten Lebewohl. Wir waren fest davon überzeugt, daß Heinz’ Mutter einen Ausweg finden würde. Kinder waren wir eben noch, Kinder …« Bianca unterbrach sich wieder und griff nach einer Zigarette. Manuel gab ihr Feuer. »Danke.« Die Frau mit dem hochgeschlossenen Pullover und dem Sportrock war ernst geworden. »Wir klammerten uns an den Gedanken, Frau Steinfeld würde uns helfen, aber dann …«
    »Ja?« fragte Manuel.
    »Dann kam doch alles anders! Dank meinem Vater, diesem Fanatiker. Ich erzählte es Ihnen ja. Wochenlangen Hausarrest erhielt ich. Eine Ewigkeit wurde jeder meiner Schritte kontrolliert. Einmal gelang es mir, mit Heinz zu telefonieren. Er hatte seiner Mutter auch das Ehrenwort geben müssen, mich nicht zu treffen. Wir hatten beide wahnsinnige Angst … Mein Vater und dieser Friedjung setzten Himmel und Hölle in Bewegung. Ich bekam das zu spüren – mächtig. Schwerster Verweis in der Schule. Verlust des Dienstgrades im BDM . Ich war Mädelschaftsführerin gewesen.«
    »Im … wo?«
    »Im ›Bund Deutscher Mädel‹, Herr Aranda. Dem weiblichen Pendant der Hitlerjugend für Buben. Da wurde ich beschimpft, und man sagte mir, welche Strafen mich erwarteten, wenn ich noch einmal, und so weiter.«
    »Was geschah mit Heinz?«
    »Das wußte ich lange nicht. Niemand wußte es. Dann sagte ein Mädchen aus meiner Klasse, sie hätte ihn gesehen. Auf einem Fahrrad. Das Mädchen hatte ihn angesprochen. Er war sehr ängstlich gewesen. Arbeitete als Rollenpendler.«
    »Als was?«
    »Zwischen Kinos. Ein Film besteht aus … aus acht oder zehn Rollen, glaube ich. Wenn mehrere Kinos denselben Film spielen, dann müssen diese Rollen, nachdem sie abgespult sind, ganz schnell von einem Kino zum andern gebracht werden. Damit eine Kopie in zwei Theatern laufen kann.«
    »Und er kam nicht mehr an das Institut zurück?«
    »Nie mehr«,
sagte Bianca. »Dieser Friedjung verhinderte es, ermutigt und unterstützt von meinem feinen Vater.«
    »Und Sie? Sie sahen sich nie mehr?« fragte Manuel.
    Irene fühlte, daß Frau Barry nervös wurde, mehr und mehr, und daß sie krampfhaft versuchte, diese Nervosität zu verbergen.
    »Doch …
einmal
 … da hielt ich es einfach nicht mehr aus und wartete auf ihn in der Straße, durch die er jeden Abend, viele Male, radeln mußte.« Bianca senkte den Kopf. »Es war schrecklich … Er sah blaß und elend aus. Sein Äußeres vernachlässigt. Richtig abgerissen. Im Monteuranzug, eine alte Lederjacke darüber. Wir grüßten uns und sprachen ein paar Worte. Klägliche Worte, nichtssagende, eilige. Ich hatte viel zu große Angst, normal und länger mit ihm zu reden oder ihn gar zu treffen. Mein Vater bedrohte mich noch immer. Der BDM bedrohte mich. Meine Lehrer bedrohten mich. Dieser andere Junge, Peter Haber, beschattete mich ununterbrochen …«
    Manuel hatte bemerkt, daß der bärtige Maler schon seit einiger Zeit mit ziemlich unglücklichem Gesicht an seiner Pfeife sog. Jetzt sagte er plötzlich laut: »Es tut mir leid … Es tut mir furchtbar leid, wirklich!«
    »Was?« fragte Manuel verblüfft.
    »Meine Frau will mich schonen. Damit bin ich durchaus nicht einverstanden! Ich habe mich damals benommen wie ein Schwein. Einzige Entschuldigung, wenn das überhaupt eine ist: Ich war so sehr in Bianca verliebt, daß ich gar nicht wußte, was ich tat. Einen Peter Haber hat es nie gegeben, den Namen hat Bianca erfunden.
Ich,
ich war Peter Haber!«

11
    In der Stille, die folgte, füllte Roman Barry, ohne zu fragen, alle Gläser nach, und alle tranken schweigend. Erst nach einer langen Weile sagte Bianca leise: »Sie verstehen nicht, daß ich Roman, ausgerechnet ihn, dann geheiratet habe, nicht wahr?«
    »Sie hatten gewiß Ihre Gründe«, meinte Manuel höflich.
    »Viele Gründe, ja.« Bianca nickte. »Die Eltern tot, bei einem Luftangriff umgekommen, unser Haus war zerstört. Heinz war tot.«
    »
Was?
« fragten Manuel und Irene gleichzeitig.
    »Tot, ja. Auch bei einem Luftangriff umgekommen.«
    »Bei einem
Luftangriff?
«
    »Hat mir seine Mutter selbst gesagt. Im Februar oder März 1945 ist das passiert, ich weiß es nicht genau. Er war

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