Und Jimmy ging zum Regenbogen
schlanke Frau mit den blauen Augen. Ist das Erregung, Freude, das diese Augen feucht glänzen läßt? überlegte Nora. »Der Direktor behandelt Heinz wie ein rohes Ei! Solange der Prozeß läuft, und der kann lange laufen, sagt Forster, wird dem Buben nicht das Geringste geschehen. Endlich muß ich mir keine Sorgen mehr machen. Es war eine wunderbare Idee von meinem Mann.«
»Mein Freund wird ihm alles erzählen. Es freut mich für Sie, daß alles so gut geht, Frau Steinfeld«, sagte Nora. Nun war der Waggon schon sehr hoch gestiegen. Wie Spielzeug sah alles in der Tiefe aus, die Berge des Wienerwaldes, die weiße Weite hinter der Donau waren zu erblicken.
»Und was ist mit Herrn Landau?«
»Oh, Martin!« Valerie lachte. »Der ist wie verwandelt! Mutig auf einmal, tapfer, frech, ja richtig frech! Den haben wir alle verkannt. Der leidet jetzt nur darunter, daß er in der Partei ist. Darum hat er sich geradezu auf diesen Prozeß gestürzt! Genauso wie die Zeugen, die wir brauchen! Seine Schwester haßt die Nazis! Die wird natürlich alles beschwören, was nötig ist!
Und
die Agnes Peintinger!
Und
die Frau Lippowski …«
»Wer?«
»Bei der haben wir gewohnt, als Heinz geboren wurde. Eine alte Dame. Aber so etwas von mutig! Und wie ich Ihnen helfen werde, Frau Steinfeld, hat sie gesagt. Ich war selber mit einem Juden verheiratet, einer Seele von einem Menschen! Auf mich können Sie sich verlassen! Ja, das hat sie gesagt. Alle halten zu mir und zum Paul! Das muß er wissen!«
Immer noch stieg die Kabine aufwärts, immer mehr Sonnenschein durchflutete sie.
Valerie öffnete ihre Handtasche und kramte darin. Sie sagte: »Das ist wirklich ein idealer Treffpunkt. Kein Mensch kann uns hier belauschen. Und ich will Ihnen alles zeigen. Sehen Sie! Durchschläge, die ich vom Doktor Forster bekommen habe. So fing es an. Das war die Klage, die er eingereicht hat …« Sie gab Nora einige dünne Papiere.
Nora überflog die Seiten.
›An das Landgericht Wien I ., Justizpalast … Klagende Partei: mj. Heinz Steinfeld … mit Beschluß des Amtsgerichtes Währing 6 G 503/42 vom 26. 11. 1942, vertreten durch seine Mutter Valerie Steinfeld … diese vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Otto Forster, Wien I ., Rotenturmstraße 143 (Vollmacht vom 24. 10. 1942) … Beklagte Partei: Ein zur Verteidigung der ehel. Geburt und blutmäßigen Abstammung zu bestellender Kurator … KLAGE wegen Bestreitung der ehel. Geburt und wegen blutmäßiger Abstammung … Streitwert RM 2500 …‹
»Da haben wir die ganze Wahrheit auf den Kopf gestellt und behauptet, daß ich immer schon eine schlechte Ehe geführt habe … Aber das hat der Paul doch wollen! Wenn er das lesen könnte, er würde lachen müssen!« sagte Valerie und lachte selber wieder. Sie wies mit dem Finger. »Hier, zum Beispiel … ›Die Verschiedenheit im Wesen der beiden Ehegatten‹ … Da kommen viele solche Sachen vor! Großartig, nicht?«
»Großartig«, sagte Nora. Sie bemerkte, daß Valeries Hände zitterten. Valerie bemerkte, daß Nora es bemerkte. Sie lachte wieder. »Aufgeregt, ich bin so aufgeregt, weil alles so gut geht! Der Richter, den wir kriegen, ist auch ein Antinazi, sagt Forster. Kann man überhaupt so viel Glück haben?«
Nun hielt die Kabine am höchsten Punkt ihrer Bahn an, leicht schaukelnd.
Jede Kabine hielt hier fünf Minuten lang. Die Millionenstadt lag in der Tiefe, Menschen waren nicht mehr zu sehen, die Häuser winzig klein, die Berge des Wienerwaldes sanfte Hügel, die Donau war ein Bächlein. Ein Lautsprecher schaltete sich ein.
Metallisch, leiernd, von einer Platte oder Walze, erklang eine ölige Männerstimme. Sie ertönte in jedem Waggon, der den Zenit der Bahn erreicht hatte.
»Das Wiener Riesenrad, ein Wahrzeichen der Hauptstadt der Ostmark und ein Symbol für den weltberühmten Prater, bildet mit seiner weithin sichtbaren Silhouette einen besonderen Anziehungspunkt für alle Besucher Wiens. Man war nicht in Wien, wenn man nicht mit dem Riesenrad gefahren ist …«
»Ich muß Ihnen gratulieren«, sagte Nora, während die Stimme leierte. »Ach, mir! Natürlich bin ich auch sehr froh … aber Paul! Paul wird erst froh sein, nicht wahr? Wann fliegt Ihr Freund wieder nach London?«
»Bald nach meiner Rückkehr.«
»Mein Gott, er soll Paul nur alles genau erzählen! Wie gut alles geht … nichts vergessen … Sie dürfen auch nichts vergessen!«
»Kein Wort«, sagte Nora und las, die Seiten überfliegend: ›… Paul Steinfeld
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