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Und Jimmy ging zum Regenbogen

Und Jimmy ging zum Regenbogen

Titel: Und Jimmy ging zum Regenbogen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Johannes Mario Simmel
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man schon in beträchtliche Tiefe springen konnte. Auch der Steg glänzte im Mondlicht. Aus der Ferne erklang Musik – eine sentimentale Melodie. Nora legte ihren Arm fester um Cardiffs Schulter. Sie saßen lange so da, schweigend.
    »Woran denkst du?« fragte Nora zuletzt.
    »Ach, an gar nichts.«
    »Doch, sag es!«
    »An Whisky«, sagte Cardiff. »Was für eine herrliche Erfindung er ist.«
    »Unsinn. Nun sag es schon!«
    »Weißt du, es ist zu komisch, ich …«
    »Du hast gebetet, ja?«
    »Ja«, sagte er.
    »Ich auch«, sagte Nora. »Worum hast du gebetet, Jack?«
    »Nein, sag du es zuerst.« Er nahm ihr Glas, warf seinen Zigarettenstummel hinüber zu dem Bohlensteg, machte zwei neue Drinks und klirrte heftig mit den Eiswürfeln dabei.
    »Ich habe den lieben Gott gebeten, daß er uns diesen Krieg überleben läßt«, sagte Nora. »Und daß wir uns immer weiter so lieben wie heute – auch nachher, im Frieden, in unserem alten Gasthof in Sussex …«
    Er nickte.
    »Der alte Gasthof. Ich war einmal mit Steinfeld dort und habe ihm alles gezeigt. Das Fachwerk, die Wirtsstube, alle Zimmer, die Pappeln rund um den Gasthof. Er war begeistert. So etwas Schönes hat er noch nie gesehen, sagte er.«
    »Ich habe auch für Steinfeld gebetet und für seine Frau und für den Jungen und für die Agnes, und daß wir alle Glück haben mögen, Glück genug, um davonzukommen. Und du? Worum hast du gebetet, Jack?«
    »Um genau dasselbe«, sagte er. »Um all das, worum du gebetet hast, Darling, und noch darum, daß wir immer genug Geld haben, um genug Whisky zu kaufen.«
    »Ist das wirklich wahr?«
    »Ja.«
    »Wir haben um dieselben Dinge gebetet«, sagte Nora. »Ganz genau dieselben. Ist das nicht seltsam, Jack?«
    »Ich finde, es wäre seltsam, wenn jeder von uns um etwas anderes gebetet hätte. Hier, Darling, dein Glas. Auf daß Gott unsere Gebete auch erhören möge. Wir wollen noch ein paarmal so beten, ja?«
    »Ja.«
    »Solange der Vorrat reicht«, sagte Jack Cardiff.
    Sie tranken.
    »Wir sind schon eine komische Rasse, wir Menschen, wie?« sagte Cardiff.
    »Steinfeld ist nicht gesund, weißt du. Seine Frau hat solche Angst, daß er sich aufregt. Aufregungen sind Gift für ihn. Ich habe auch noch gebetet, daß er keine Aufregungen mehr hat. Ob der liebe Gott es gehört hat? So viele Menschen beten jetzt zu ihm.«
    »Die Gebete jener, die sich lieben, hört der alte Mann mit dem weißen Bart immer.«
    »Dann sorgt er auch dafür, daß sie immer genug Whisky haben«, sagte Nora.
    Cardiff hob einen Finger.
    »Nur wenn sie sich so sehr lieben wie wir«, sagte er. »Er muß das Zeug einteilen, Darling, weißt du. Und es gibt solche und solche Lieben.«
    »Und wir haben eine solche?«
    »Ja«, sagte Jack Cardiff, »wir zwei, wir haben eine solche.«

57
    Am 7. April 1766 gab Kaiser Joseph II . ein 5 365 000 Quadratmeter umfassendes Gebiet von Auen und Auwäldern nahe der Donau, das bis dahin den Habsburgern als Jagdrevier gedient hatte, für die Bevölkerung frei, ›um dorten zu reiten, zu fahren und daselbst sich mit erlaubten Unterhaltungen zu ergötzen‹.
    Schausteller, Wirte, Kaffeesieder, Lebzelter und Kuchenbäcker siedelten sich sofort in großer Zahl an. Am Pfingstsonntag 1852 wurde der ›Wurstel-Prater‹ eröffnet, 1945 bei schweren Kämpfen zwischen SS und vorrückender Roter Armee völlig zerstört und erst nach Jahren vollständig wiederaufgebaut. Zuletzt gab es wieder die Geister-, Grotten-, Berg- und Talbahnen, die Liliputbahn, welche durch die Auen fuhr, Restaurants und Trinkhallen, Kasperl- und Marionettentheater, Schießbuden und Schaubuden, Lachkabinette, Luftschaukeln, Hippodrome, Kinos, Varietés, Karussells, das Pratermuseum, Tierschauen, sogar noch ein paar Zauberer, Neonreklamen, tobende Nervenkitzel-Attraktionen und das Riesenrad, welches, 1945 durch Brand und Bomben fast völlig vernichtet, sich, zur Gänze erneuert, bereits 1946 wieder drehte.
    Es drehte sich auch am frühen Nachmittag des 17. Januar 1943, einem sonnigen, kalten Tag. Schnee lag seit Wochen über dem Land. Laut Verordnung hatte das Riesenrad auch bei Eis und Schnee in Aktion zu bleiben, ebenso wie alle Vergnügungsbetriebe gehalten waren, das Jahr durch zu arbeiten.
    Soldaten saßen in den Kabinen des Riesenrades, Mütter mit Kindern, Verwundete mit Krücken oder dicken Verbänden, Krankenschwestern, junge Mädchen, Angehörige. Die Kinder jubelten. Die Erwachsenen hatten ernste, blasse Gesichter, und sie lächelten bloß manchmal,

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