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Und Jimmy ging zum Regenbogen

Und Jimmy ging zum Regenbogen

Titel: Und Jimmy ging zum Regenbogen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Johannes Mario Simmel
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Genugtuung sieht er, daß der Kurator Dr. Kummer plötzlich am Kragen seines schwarzen Talars zerrt. Ich kenne diesen Dreckskerl, denkt Forster, diesen Radfahrer. Dem wird es jetzt mulmig.
    »Herr Landau, Sie müssen sich beruhigen, Sie sind zu aufgeregt«, säuselt Kummer. Tatsächlich, denkt Forster, an seinem Ohr zupfend, nur mit Mut und Brüllen kommt man diesen Schweinen bei! »Sie mißverstehen uns. Wir sind an der Wahrheitsfindung in diesem Fall genauso interessiert wie Sie. Seien Sie überzeugt, daß ich und der Herr Vorsitzende – ich meine: der Herr Vorsitzende und ich – keinerlei vorgefaßte Meinungen oder Vorurteile haben …« (Berlin, denkt auch Kummer. Krach mit Bonzen. Wo ich mir alles so schön aufgebaut habe …)
    »Sieht mir aber gar nicht so aus!« antwortet Landau dem Kurator und gibt ihm einen gehässigen Blick. »Ich jedenfalls werde hier in einer Weise behandelt, die ich mir nicht länger gefallen lasse!«
    Böse trompetet daraufhin Richter Gloggnigg: »Schluß damit! Sie haben die Würde des Gerichtes zu wahren, Herr Landau. Ich habe Sie zu Beginn Ihrer Vernehmung davon in Kenntnis gesetzt, daß Sie als Zeuge damit rechnen müssen, vereidigt zu werden, und daß Sie deshalb die reine Wahrheit zu sagen haben.«
    »Jawohl, und?« kräht Landau.
    »Und nach Ihrem jetzigen stürmischen Auftritt und ungebührlichen Verhalten
werde
ich Sie vereidigen«, sagt Gloggnigg, leise und heimtückisch, steht auf und nimmt sein Barett. »Heben Sie die rechte Hand. Ich spreche Ihnen die Eidesformel vor, Sie sprechen mir nur die letzten Worte nach.«
    »Aber gerne, Herr Direktor!« Landau hebt eine Hand.
    Alle sind aufgestanden.
    Gloggnigg leiert: »Ich schwöre bei Gott, dem Allmächtigen und Allwissenden, daß ich nach bestem Wissen und Gewissen die reine Wahrheit gesagt, nichts hinzugefügt und nichts verschwiegen habe. Ich schwöre es, so wahr mir Gott helfe.«
    »Ich schwöre es, so wahr mir Gott helfe«, wiederholt Martin Landau laut.

8
    Den ersten richtigen Anzug mit langen Hosen trägt Heinz. Seine Mutter hat einen alten Schneider gefunden, der einen der von Paul Steinfeld zurückgelassenen Anzüge änderte: dunkelgrau, mit breitwattierten Schultern. Ein weißes Hemd und eine blaue Krawatte trägt Heinz, dem geschlossene Hemden und Krawatten ein Greuel sind. Aufrecht und hochgeschossen ist er, das blonde Haar, die blauen Augen und das schmale Gesicht der Mutter hat er, die Haut voller Sommersprossen. Stramm und tadellos die Haltung. Laut und deutlich die Stimme, höflich, eifrig, leidenschaftlich, plötzlich wild.
    Da steht er vor dem Richtertisch, die Hände an der Hosennaht, mein Bub, mein kleiner Heinz, den ich geboren und großgezogen und behütet habe und weiter behüten muß, da steht er und gibt Rede und Antwort – dem Richter, dem Kurator, dem Dr. Forster.
    Da steht er und sagt: »Nein, Herr Direktor, ich habe meinen Vater nie leiden können. Und er mich auch nicht.«
    Und sagt: »Er ist mir immer fremd gewesen, mein Vater. Ich habe immer gespürt, er versteht mich nicht, und er mag mich nicht. Und ich habe ihn auch nicht verstanden. Er hat so viele Sachen gesagt, die ich nicht begriffen habe, oder, wenn ich sie begriffen habe, dann haben sie mich abgestoßen.«
    »Abgestoßen? Wieso?«
    »Weil er so zynisch geredet hat. So zersetzend. Über alles hat er nur seine Witze gemacht. Alles hat er in den Dreck gezogen.«
    »Was denn zum Beispiel?«
    »Zum Beispiel die Heimat, Herr Direktor. Und dann Begriffe wie Glauben und Treue und Ehre und Kameradschaft …«
    Ach, Heinz, Heinz, wie gut hast du dich mit Paul verstanden, früher, als Kind, als Junge, bis die Nazis kamen! Wie viele Stunden habt ihr debattiert, wie hast du ihn bewundert, wie hat er dir alles erklärt, dir immer neue Bücher gebracht, Geschichten erzählt, wie stolz warst du darauf, wenn er im Radio gesprochen hat! Und jetzt ist da nur noch Haß in dir. Furchtbar …
    »Wunderbar«, flüstert der Doktor Forster. »Der Bub macht sogar auf die beiden Kerle Eindruck.«
    Das tut er.
    Ein erstaunlicher Junge, findet Gloggnigg, der selber einen Sohn hat. Das könnte ja direkt sein Bruder sein, wie der ausschaut, wie der spricht, die Haltung, die Würde …
    »Nein, Herr Richter, ich habe nicht gewußt, daß mein Vater – dieser Mann meine ich –, daß der Jude ist. Das habe ich erst erfahren, als ich in der Schule den kleinen Ariernachweis erbringen mußte. Da hat es mir meine Mutter gesagt. Ich war sehr unglücklich,

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