Und manche liebe Schatten steigen auf
lebende geschätzte Komponist Professor A.W.). Ein größeres Glück hätte ich nicht haben können, als das, Zeuge einer Klavierstunde zu sein, die Liszt gab! Während der ganzen Zeit verharrte Liszt stehend hinter dem Stuhle seines Schülers, machte seine oft humoristisch gewürzte Bemerkungen zu dem Spiele, spielte ab und zu einzelne Stellen in geradezu unnachahmlicher Weise vor und – nahm von Zeit zu Zeit einen Schluck Cognac aus einer kleinen Reiseflasche, die er in der Brusttasche bei sich führte. Am Abend forderte mich Liszt auf, ihm vorzuspielen, da ich doch an der inzwischen arrangierten Whistpartie tätigen Anteil nicht nehmen konnte. Er nahm desto liebenswürdigeren Anteil an meinem Spiele. Als er nun aber während des Whistspiels Grog von Cognac trank, konnte ich mich in meinem Erstaunen darüber nicht der Frage erwehren, ob er wohl an dem heutigen Tage von dem Systeme des „Abgewöhnens“ Abstand genommen habe? Er verneinte dies lachend, indem er hinzufügte, dass man sich dergleichen nur ganz allmählich abgewöhnen dürfe, und indem er mir gleichzeitig von manchen Heldentaten auf diesem Gebiete aus seinen früheren Jahren erzählte. Dieses ersten persönlichen Begegnens musste ich gedenken, als mich Liszt wenige Jahre vor seinem Tode in meiner drei Treppen hoch gelegenen Wohnung besuchte. Es war ein fürchterlich heißer Sommertag, und der große Meister war sichtlich sehr erschöpft. Meine Frau bot ihm begreiflicherweise jede Erfrischung an, die man sich an solchen Tagen als erquickend zu betrachten pflegte, ohne jedoch damit zu reüssieren. Da fiel mir mein erstes Begegnen mit ihm ein, und ich schlug ihm ein Gläschen fine champagne vor. „Enfin, das wäre etwas!“ meinte er. Diese Inclination hatte ihn also noch nicht ganz verlassen, sie ist ihm aber auch nie verhängnisvoll geworden, denn bekanntlich wurde er alt und blieb stets tätig, geistig frisch und selbst produktiv. Das war mein letztes Begegnen mit Liszt. Doch habe ich noch von einigen früheren, für mich ebenso lehrreichen wie interessanten zu berichten. Bald nachdem ich den Meister unter Ernsts Obhut in Weimar besucht hatte, lud er mich ein, auf einige Tage zu ihm zu kommen, und mit dankbarem Herzen gedenke ich noch heute dieser genuss- und lehrreichen Tage. Als wir einmal ganz allein zu Nacht speisten, kam das Gespräch auf Hummel, ich bezeichnete dessen D-moll-Septett als sein vollendetstes Werk und erwähnte gleichzeitig, dass ich es vor Jahren von ihm in Hamburg hätte spielen hören. Liszt aber meinte, dass Hummels Fis-moll-Sonate dem Septett doch wohl den Rang streitig mache, und als ich nun bekennen musste, dass diese mir fremd geblieben sei, setzte er sich an den Flügel und spielte auswendig die ganze Sonate! Ein anderes Mal äußerte ich, wie sehr ich immer bedauert habe, dass er niemals die Coriolanouvertüre von Beethoven für Klavier transscribiert habe. Da setzte er sich gleich an den Flügel, spielte sie in kongenialer Weise und sagte zum Schlusse: „So ungefähr würde ich's gemacht haben.“ Nachdem er mir die E-Dur-Etude von Chopin aus dessen ihm gewidmeten Opus 10 vorgespielt hatte, sagte er in etwas trübem Tone: „Vier Jahre von meinem Leben gäbe ich darum, wenn ich diese vier Seiten geschrieben hätte.“ Seit ich diese Etüde von Liszt gehört habe, kann sie kein anderer Spieler mir zu Dank spielen. Grade in solchen Augenblicken, unter vier Augen, spielte Liszt am schönsten; hatte er ein größeres Publikum vor sich, so packte ihn leicht ein Dämon, und er ließ sich, wie schon oben erwähnt, zu Barockem und Launenhaften verführen.
Mit gewinnender Güte und Liebenswürdigkeit verlangte er meine jüngsten Kompositionen zu hören. Ich hatte ein Konzertstück für Klavier und Orchester (später als opus 33 erschienen) komponiert, Liszt legte die nicht eben kalligraphisch geschriebene Partitur aufs Pult und spielte nicht allein prima vista in vollendeter Weise das, was in der Partitur stand, sondern er bereicherte zudem meinen etwas altmodischen Klaviersatz durch Improvisationen reizendster Art. Als ich in den nächsten Stunden zugunsten meines Konzertstückes etwas Ähnliches zu Papier gebracht hatte, freute er sich, seine Improvisationen wie der zu finden. Meine vierhändigen Variationen über eine Sarabande von Bach (opus 24), die er wiederholt mit mir spielte, ließ er dagegen unangetastet. Während dieses Aufenthaltes hatte ich auch Gelegenheit, ihn als Opernkapellmeister am Pult zu sehen. Er
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