Und manche liebe Schatten steigen auf
Wohnung, und gleich darauf liegen zwei Pakete auf meinem Flügel. Frau Schumann schreibt, sie könne mir leider nur die Stimmen für die Blasinstrumente schicken, da ihr die Quartettstimmen vor vielen Jahren in Leipzig abhanden gekommen seien. Der Leipziger Musikalienhändler schreibt: „Die Rechnung für die Stimmen stellt sich ungewöhnlich billig, da ich die Quartettstimmen antiquarisch erwerben konnte.“ Und siehe da, als ich das Leipziger Paket geöffnet habe und die vergilbten Blätter ansehe, entdecke ich in der Ecke den mit Bleistift geschriebenen Namen Clara Wieck. So fanden sich die seit langen Jahren getrennten Orchesterstimmen jetzt in meinem Zimmer wieder zusammen. Frau Schumann, der ich selbstverständlich auch die Deserteure zusandte, war sehr erstaunt und belustigt über diesen seltsamen Zufall.
Die ergreifende Tragödie von Schumanns letzten Lebensjahren hatte am 29. Juli 1856 in der Irrenanstalt zu Endenich bei Bonn mit seinem Hinscheiden geendet. Jahre vergingen, ohne dass ich die schwergeprüfte Frau wiedersah. Ich mochte ihre stille Trauer durch mein Erscheinen nicht stören. Erst von dem Tage an, an dem ich Dirigent der Leipziger Gewandhaus-Konzerte geworden war, sah ich sie häufiger wieder, da sie fast alljährlich ein herzlich willkommener Gast dieser Konzerte war. Am 24. Oktober 1878 feierte sie das fünfzigjährige Jubiläum ihres ersten Auftretens im Gewandhause und bis zu diesem Tage hatte ich schon zwölfmal die Freude gehabt, am Dirigentenpulte gestanden zu haben, wenn sie Konzerte von Schumann, Mendelssohn, Mozart oder Chopin spielte. Das eben erwähnte Konzert wurde gar festlich und mit inniger Teilnahme des gesamten Publikums begangen und hat, wie folgender Brief aus Frankfurt beweist, großen Eindruck auf sie gemacht.
„Lieber und geehrter Herr Capellmeister!
Ich möchte Ihnen hierdurch noch einmal meinen Dank für ihre Teilnahme an meinem Fest, die Sie mir im Verein mit dem Orchester in so schöner zwiefacher Weise, sowohl durch die Musik als das werthvolle Andenken erwiesen, aussprechen. Wollen Sie, bitte, den Herren Mitgliedern des Orchesters meinen innigsten Dank vermitteln. Sie vermögen wohl zu beurtheilen, wie werthvoll eine solche Auszeichnung von meinen Kunstgenossen für mich sein mußte. Freundlich grüßend bin ich hochachtungsvoll
Ihre ergebene Clara Schumann.“
Wie sehr sprechen wohl einen Jeden diese liebenswürdigen Worte an, in denen sie, die echte, vornehme Künstlerin, ihre Kollegialität mit den Orchestermitgliedern betont! Noch einmal begegnete ich ihr in Interlaken, wo sie in den letzten Lebensjahren so gern den Sommer zubrachte. Nun ist auch sie ihrem Gatten in die Ewigkeit gefolgt. Aber ihr Name wird nie in Vergessenheit geraten, wie dies das Los so vieler Virtuosen ist. Mögen auch manche sie später an Bravour und stupender Technik übertroffen haben, an selbstloser Hingabe an das Werk, das sie zu Gehör brachte, an dessen keuscher und doch warmer Wiedergabe kommen ihr sicherlich nur wenige gleich!
Ernst hatte ein Streichquartett, das oben erwähnte Klavierquartett und ein Klavierstück von mir kennen gelernt, welche zufällig sämtlich in Es-Dur waren. Der Kapellmeistertitel war stark verfrüht, aber Ernst liebte es, mich damals schon mit diesem Prädikate anzureden, halb neckend, halb prophetisch.
Der Brief war, statt mit Streusand, mit Schnupftabak bestreut, und da Ernst voraussetzte, dass ich sofort niesen müsse, so rief er mir auch sogleich „Zur Genesung“ zu.
Im Besitze des Autors befindet sich eine niedliche, während einer Concert-Conferenz in Leipzig entworfene Skizze, die entschieden mehr bedeutet als eine gewöhnliche Dilettantenleistung.
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