Und morgen am Meer
verbrachte »meine« DDR -Zeit in meinem Heimatdorf. Bei uns auf dem Land war von vielen Dingen kaum etwas zu merken, ein kleiner Garten wog den Mangel an Obst und Gemüse auf, herangezogenes und verkauftes Vieh spülte zusätzliches Geld in die Kassen. Wir gingen im Nachbardorf in die Polytechnische Oberschule, zu der es nur fünf Minuten mit dem Bus dauerte. Manchmal fuhren wir dorthin mit dem Fahrrad – ohne Helm! Später mit Helm und Moped.
Über fehlende Güter oder solche, für die man lange anstehen musste, wurden Witze gemacht. Die Stasi war ein diffuses Gespenst für die meisten, die nicht merkten, dass sie bespitzelt wurden. Es gab Gerüchte, die hinter vorgehaltener Hand erzählt wurden. Es gab Mahnungen der Eltern, sich ja nicht darüber aushorchen zu lassen, welche Uhr in den Abendnachrichten gezeigt wurde (die von Tagesschau und heute-journal unterschieden sich von der Aktuellen Kamera, für findige Aushorcher der Beweis, dass man Westfernsehen schaute), und es gab von Lehrern einkassierte Micky-Maus-Hefte. Und wieder die Sehnsucht, einmal nur nach drüben zu können. Einmal auch den Teil der Welt zu sehen, vor dem uns die Mauer angeblich schützen sollte.
Viele Menschen, besonders die älteren, hatten die Hoffnung, dass sich eines Tages etwas ändern würde, aufgegeben.
Doch glücklicherweise gab es jene, die sich nicht damit zufriedengeben wollten. Menschen, die sich in den Kirchen zusammenfanden, Kritik und Widerstand übten, sich von Repressalien nicht abschrecken ließen, anderen Hoffnung machten und schließlich auf die Straße gingen. All diesen »Heroes« sei an dieser Stelle gedankt!
Die Geschichte von Milena und Claudius hat einen wahren Hintergrund. Die Liebe des Paars, das mit dem Motorrad türmte, vor einer Gesellschaft voller Repressalien – der Junge hatte ständig Ärger, weil er einer Religion angehörte, die es ablehnte, am Samstag zu arbeiten (in der DDR wurde auch samstags unterrichtet), das Mädchen war rebellisch gegen ihre Eltern und verliebt in den Jungen – hat es wirklich gegeben. Bei Nacht und Nebel verschwanden sie und entfachten eine Suchaktion, die niemandem in der Gegend verborgen blieb. Leider waren ihre Pläne und ihre Liebe schon auf halber Strecke vorbei, die Strapazen hatten an ihnen gezehrt und das Feuer aufgebraucht. Es folgte haufenweise Ärger für die beiden und deren Familien. Ich jedoch habe diese Geschichte nie vergessen, sie jetzt verändert und weitergesponnen.
Ein wichtiger Bestandteil der Jugendkultur war die Westmusik. Natürlich gab es auch im Osten Bands, die man anhören konnte, doch gerade in den 80ern waren wir alle Depeche Mode, A-ha, den Pet Shop Boys und David Bowie verfallen. Darin unterschieden wir uns nicht von den Jugendlichen im Westen, denen wir mit Erfindungsreichtum beim Klamottenschneidern und dem Aufnehmen von Kassetten nacheiferten. Aus diesem Grund habe ich als Kapitelüberschriften Musiktitel gewählt. Wer mag, kann sich diese Lieder besorgen und beim Lesen anhören – wie ich es beim Schreiben getan habe. Es ist nur ein kleiner Teil dessen, was uns dazu gebracht hat, lange nach Sendern und Liedern zu suchen, mit unseren Radios die besten Stellen zum Aufnehmen abzupassen und mit Aufnahmekabeln zu hantieren.
Ich könnte noch so einiges über die DDR schreiben. Über verteufelte Jugendkulturen, Lügen im Staatsbürgerkundeunterricht, Handgranatenattrappen beim Sport, aber auch über die Geborgenheit eines guten Gesundheitssystems, Nachbarschaftlichkeit und Hilfsbereitschaft.
Das meiste habe ich schon in die Geschichte einfließen lassen und hoffe, dass sie nicht nur unterhält, sondern auch das Wissen an eine längst vergangene Zeit wachhält.
Als Mahnung, dass kein Mensch sich auf ewig einsperren lässt.
Corina Bomann
geboren im Jahr 1974 entdeckte sie schon früh das Schreiben für sich. Seit 2002 ist sie als freie Autorin tätig und schreibt Bücher für Erwachsene und Jugendliche. Derzeit lebt sie in Mecklenburg.
Mehr unter www.corina-bomann-online.de
Vollständige E-Book-Ausgabe der 2013 im Ueberreuter Verlag erschienenen Buchausgabe.
ISBN E-Book 978-3-7641-9004-0
ISBN Printausgabe 978-3-8000-5722-1
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