Und Nachts die Angst
wartet, dass sie sie selbst beantwortet, aber sie setzt sich zurück auf der Couch, hält die Luft an und schweigt dickköpfig.
Er tippt sich mit dem Daumen ans Kinn und mustert sie. »Okay, Ihre Hausaufgabe«, sagt er, wie so oft, wenn sich die Sitzung dem Ende zuneigt. »Denken Sie bitte über Ihre ganz eigene Definition einer Beziehung nach, in der sie sich wohl fühlen – eine freundschaftliche oder eine Liebesbeziehung, asexuell, bisexuell oder wie auch immer. Nichts, was nicht ginge. Und falls Sie sich mir gegenüber nicht detailliert darüber auslassen möchten, ist das in Ordnung. Denken Sie ganz allein für sich darüber nach und machen Sie sich bewusst, dass Sie selbst die Kontrolle haben. Aber gestehen Sie sich zu, über eine echte, intime Verbindung mit einer anderen Person nachzudenken, selbst wenn es im augenblicklichen Stadium reine Phantasie sein sollte. Was halten Sie davon?«
»Eine intime Verbindung?«
»Genau.«
»Ich soll sie mir vorstellen, mehr nicht?«
Er zieht nur eine Augenbraue hoch.
»Okay. Klingt harmlos. Das müsste gehen.« Sie blickt an sich herab und stellt fest, dass sie die Beine übergeschlagen und die Arme verschränkt hat. »Ich sehe bloß nach Abwehr aus. In Wahrheit ist mir ein bisschen kühl.«
Er lächelt und nickt einmal. »Gut. Wir sehen uns nächste Woche. Und ich wünsche Ihnen ein schönes Thanksgiving.«
»Ich Ihnen auch.«
Sie sind auf dem Weg zur Tür, als Dr. Lerner hinzufügt: »Oh, haben Sie noch einmal darüber nachgedacht, sich einen Hund oder eine Katze anzuschaffen?«
»Ich weiß, Sie meinen, dass es therapeutischen Nutzen hätte, aber ich brauche weder Hund noch Katze. Ich habe Persephone.«
Er presst belustigt die Lippen zusammen. »Und wie lebt es sich mit der reizenden Persephone?«
»Therapeutisch.«
Er lacht leise und öffnet die Tür.
Sobald sie in den Flur treten, hastet die Sekretärin auf sie zu. Sie hat die Hände wie im Gebet vor der Brust gefaltet. »Entschuldigen Sie bitte, Doktor«, sagte sie. »Sie haben unangemeldeten Besuch.«
Als die drei den Wartebereich betreten, erhebt sich mit verkniffener Miene ein Mann im dunklen Anzug. »Dr. Lerner?«
»Sind Sie wegen der Sache in Jefferson County hier?« Dr. Lerner tritt vor und schüttelt ihm die Hand.
»Verzeihen Sie, dass ich hier so einfach reinplatze.«
Dr. Lerner senkt die Stimme, während er in ernstem Ton mit dem Mann zu reden beginnt, und Reeve trödelt am Empfangstisch herum und spitzt die Ohren, um etwas aufzuschnappen. Um Zeit zu schinden, nimmt sie den Schlüssel zur Toilette aus einem Schälchen mit Blumenmuster, aber sie bekommt von der Unterhaltung der beiden Männer nicht mehr mit. An der Tür dreht sie sich um und sieht gerade noch, wie die beiden in Dr. Lerners Arbeitszimmer verschwinden.
Draußen im Korridor begegnet sie Dr. Lerners üblichem Halb-elf-Termin, einer unglaublich sommersprossigen Rothaarigen im Teenageralter, deren Namen sie selbstverständlich nicht kennt.
Als sie aus der Toilette zurückkommt, ist die Rothaarige nicht mehr zu sehen, und Reeve bemerkt, dass die Miene der Sekretärin seltsam düster ist. Ihr Kussmund ist zu einer geraden Linie geworden. Und als Reeve den Schlüssel wieder in das Schälchen legt, blickt sie auf und sagt: »Es tut mir furchtbar leid, Miss LeClaire, aber Dr. Lerner muss alle Termine für die kommende Woche absagen.«
Reeve blickt sie blinzelnd an. Und plötzlich fällt ihr auf, dass die Frau sie zum ersten Mal beim Namen genannt hat.
4. Kapitel
Jefferson City
A ls Duke heimwärts fährt, hat er bereits die wichtigsten Dinge erledigt. Er hat sich ein neues Handy besorgt und alle brauchbaren Kontakte übertragen. Er hat das neue Telefon in die Tasche seiner Lederjacke gesteckt und das alte mitsamt der Verpackung und dem Kassenzettel des neuen in die bunte Plastiktüte.
Nun fährt er in Richtung Süden. Er biegt vom alten Highway ab und fährt eine Weile parallel zu den Bahngleisen, dann wendet er sich nach Osten zum Fluss und gelangt auf den Riverside Drive. Die ersten paar Meilen sieht man gepflegte Häuschen hinter gestutzten Rasenflächen, aber die Vorstadtsiedlung zerfasert immer mehr, und schließlich verengt sich die Straße. Die wenigen Häuser hier sind umgeben von dichtem struppigem Buschwerk, alten Eichen und hohen Nadelbäumen. Straßenschilder sind von Kugeln durchlöchert. Zäune dürsten nach Farbe. Es gibt nur wenige Nachbarn, und wer hier wohnt, kümmert sich um seine eigenen Angelegenheiten.
Duke
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