Und Nachts die Angst
durch den Wald getrampelt, ohne einen einzigen Hinweis zu finden!«
Man klopft sich auf Schultern und schüttelt sich die Hände, während man auf die Ausgänge zugeht. Alle Anwesenden sind aufgekratzt, bis auf den großen Mann im Hintergrund, der sich Duke nennt. Er hat still und reglos dagestanden, genau zugehört und über Schadensbegrenzung nachgedacht.
Eine weißhaarige Frau mit Gehstock blinzelt zu ihm auf. »Ist das nicht einfach wundervoll?«, ruft sie entzückt. »Jetzt kann die arme kleine Cavanaugh Thanksgiving zu Hause mit ihren Eltern verbringen.«
Duke neigt leicht den Kopf. »Ja, Ma’am.« Er wendet sich zum Gehen und verlässt den Saal direkt hinter der lästigen Maklerin, wegen der die ganze Sache den Bach runtergegangen ist.
Er ist so dicht hinter ihr, dass er sie berühren könnte, wenn er den Arm ausstreckte. Er stellt sich vor, wie er seine großen Hände unter ihr glänzendes Haar schiebt und ihren dürren Hals packt, und er genießt das Bild, während sie die breite Treppe hinuntergehen. Dann schwenkt die Maklerin ab und eilt mit klackenden Absätzen davon, und Duke schlendert ihr gemächlich hinterher.
Er verlangsamt sein Tempo, um sich eine Zigarette anzuzünden, lässt sie dabei jedoch nicht aus den Augen. Einen halben Block weiter hebt sie die Hand mit dem Schlüssel und öffnet per Fernbedienung einen bernsteinfarbenen Lexus. Er sieht zu, wie sie einsteigt und sich anschnallt. Als der Motor anspringt und der Wagen zurücksetzt, merkt er sich das Nummernschild, dann dreht er sich um und geht zu seinem SUV.
Er setzt sich ans Lenkrad, zündet den Motor, macht das Fenster einen Spalt weit auf, blickt in den Rückspiegel und fädelt sich in den Verkehr ein. Schwere graue Wolken hängen am Himmel; es wird Regen geben. Doch als er nach Hause fährt, denkt er nicht ans Wetter. Stattdessen überlegt er, was er mit Randy Vanderholt machen soll, nun, da der Vollidiot sich hat verhaften lassen. Und er macht sich Sorgen, welche Geheimnisse die süße kleine Tilly wohl ausplaudern könnte.
3. Kapitel
San Francisco, Kalifornien
I hr Vater hat also eine neue Liebe«, sagt Dr. Lerner langsam, »und Ihre Schwester und ihr Mann werden Thanksgiving auch kommen, wie Sie sagen.«
Reeve sitzt auf dem Sofa und streichelt den kleinen Hund. Sie kann spüren, dass ihr Psychiater von sicheren Themen zu delikateren übergehen will. »Das ist aber kein Problem mehr«, sagt sie. »Meine Schwester ist jetzt Supermom geworden. Ihre Familie vereinnahmt sie viel zu sehr, als dass sie sich noch um mich Sorgen machen könnte.«
»Aha?«
»Wirklich. No problemo. Und das Baby ist so süß … wie ein glucksender Botschafter für den Weltfrieden.«
»Sie fühlen sich also wohler als letztes Jahr?«
Sie verdreht die Augen. »Sie werden mich trotzdem wieder mit den üblichen Fragen nerven, warum ich noch immer keinen festen Freund habe und so weiter. Das lässt sich nicht vermeiden.« Eine Veränderung ihrer Haltung stört Bitsy, und der Hund rückt von ihr ab und beginnt, sich die Pfote zu lecken. Verärgert fährt Reeve fort: »Aber was soll’s? Sie selbst haben gesagt, dass eine Liebesbeziehung nicht zwingend Zeichen einer Verbesserung ist und ich mich nicht auf irgendein Verhältnis einlassen soll, nur um mir zu beweisen, dass ich es hinkriege, richtig?«
Ihm wird aufgefallen sein, wie angespannt sie sich anhört, und sie erwartet, dass er darauf reagiert, aber als nichts geschieht, zuckt sie mit den Schultern. »Okay, ich benehme mich wie ein trotziges Kind.«
»Das ist ein emotional belastetes Thema für Sie. Also ist es nur verständlich.«
»Eben.«
»Und Sie haben gute Gründe für Ihre Abwehr.«
»Ganz genau.« Sie muss an ihre Narben denken und spürt, wie ihr die Hitze in den Kopf steigt. »Im Übrigen ist ja noch gar nicht gesagt, dass die übliche Mann-Frau-Beziehung bei mir überhaupt funktionieren kann, nicht wahr? Ich weiß, dass jeder von einem gesunden Sexleben spricht, aber selbst im unwahrscheinlichen Fall, dass ich jemanden kennenlerne, der mir gefällt – und der mich auch toll findet –, wie soll ich ihm auch nur ansatzweise meine Situation erklären? Ich meine, was ist schlimm daran, asexuell zu sein? Es ist doch viel einfacher.«
»Es ist vollkommen in Ordnung, enthaltsam zu leben, wenn Sie das so wollen, aber Sie haben sich gerade widersprochen, denken Sie nicht?«
Sie verengt die Augen. »Wieso?«
»Einerseits drücken Sie Ihren Wunsch nach einer Verbindung aus, dann aber
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