0351 - Zwei Schwerter gegen die Hölle
Auch sie begriff das Phänomen der zwei Eisernen nicht. Einer der beiden hatte ja versucht, mich zu töten. Und zwar der, der mitten in der Leichenhalle stand. Es war für mich ein schlimmer Schock gewesen, als ich waffenlos gegen ihn antreten mußte, und ich hatte bisher unwahrscheinliches Glück gehabt, daß es mir gelungen war, den Schwerthieben zu entgehen.
Schließlich war der zweite Eiserne Engel erschienen und hatte den ersten durch seinen Ruf gestoppt.
Vorläufig.
Ich spürte in meinem Magen ein seltsames Brennen. Vielleicht produzierte er zuviel Säure, aber nach dieser Überraschung war es eine natürliche Reaktion. Das war einfach verrückt.
Es konnten höchstens ein Dutzend Sekunden nach dem Auftauchen des zweiten Eisernen Engels vergangen sein, und noch immer hatte sich nichts getan.
Die beiden starrten einander an. Still war es geworden, auch mein heftiger Atem hatte sich allmählich beruhigt. Ich spürte wieder die dumpfe Schwüle in der Leichenhalle, die sich wie dichte Watte über mich gelegt hatte. Es fiel mir sogar schwer, normal Luft zu holen.
Am liebsten wäre ich verschwunden.
Es war nur ein kurzer Moment der Niedergeschlagenheit, dann bewegte ich mich als erster. Nur wenige Schritte brauchte ich zur Seite zu gehen, um meinen Bumerang zu erreichen, der auf dem Boden lag. Ich hatte ihn geschleudert, denn er war wieder völlig normal geworden. In einer anderen Welt, in die es mich verschlagen hatte, war sein Aussehen ein anderes geworden, und er hatte seine Kraft verloren.
Jetzt nicht mehr, aber ich hatte den Eisernen auch nicht erwischen können. Mit dem Schwert als Deckung hatte er es geschafft und den Wurf abgewehrt.
Ich nahm die Waffe an mich, ohne die beiden aus den Augen zu lassen. Als ich sie wieder bei mir trug, fühlte ich mich wohler und glitt zurück in meine alte Position.
Dort wartete ich ab.
Es lag auf der Hand, daß ich nicht von allein anfangen konnte. Ich mußte das Feld den beiden Gegnern überlassen, und daß sie Feinde waren, stand für mich fest.
Ich wandte mich um und schaute mir den Engel an, der an der linken Seite stand. Es war der neu hinzugekommene, dessen große Gestalt das Türrechteck fast völlig einnahm.
Beim ersten Hinschauen war kein Unterschied für mich zu sehen gewesen. Das änderte sich nun, als ich mir die Figur genauer anschaute. Da merkte ich schon etwas.
Der zuletzt erschienene Engel trug nicht dieses togaähnliche Gewand wie der erste. Er sah eigentlich aus wie immer. Eine graue Figur, in gewisser Hinsicht geschlechtslos, ein Wesen, das aus einem längst versunkenen Kontinent stammte, und das mir schon oft genug zur Seite gestanden hatte, wenn es um die Mächte des Bösen ging.
Für einen Moment, als der Eiserne meinen Blick bemerkte, zuckte ein Lächeln über seine Lippen.
Und dieses Lächeln gab mir Hoffnung. Es war anders als das des ersten Engels, das für mich nur mehr zu einem scharfen Grinsen geworden war. Nach diesem Lächeln hatte ich das Gefühl, den Eisernen auf meiner Seite zu wissen.
Er setzte sich in Bewegung.
Mir kam es vor, als würde die Zeit langsamer ablaufen. Jeder seiner Schritte verdichtete die Spannung. Ich fühlte sie, denn sie lag in der Luft und trug Schuld an der Gänsehaut, die über meinen Körper lief.
Der zweite Engel rührte sich nicht. Wie eine Eins stand er auf dem Fleck, das Gesicht regungslos, aber ein Lauern in den ebenfalls grauen Augen. Der echte Engel zog mit einer geschmeidigen und unzählige Male geübten Bewegung sein Schwert aus der Scheide und hielt die Waffe so, daß deren Spitze auf seinen Gegner wies.
Der rührte sich nicht.
Und auch der echte Engel blieb stehen.
Mir war längst klargeworden, daß es einen Engel zuviel auf dieser Welt gab. Und ich wurde auch das Gefühl nicht los, hier die große Entscheidung zu erleben.
Beide Engel standen dicht davor.
Wer gewann?
Ich hielt den Atem an. Plötzlich spürte ich Schweiß auf meiner Stirn und bekam auch mit, daß sich der falsche Engel bewegte und sein Schwert ebenfalls in eine andere Richtung drehte.
»Was willst du hier, Bruder?« erkundigte sich der echte mit leiser, aber dennoch scharfer Stimme.
Und ich zuckte zusammen. Bruder, hatte er gesagt. Verdammt, waren die beiden tatsächlich Zwillinge? Das wurde immer schöner.
Ich erlebte eine Überraschung nach der anderen und mußte an mich halten, um selbst keine Fragen zu stellen.
»Bruder?« wiederholte der falsche. Er fügte ein spöttisches Gelächter hinzu. »Wieso
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