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...und noch ein Küsschen!

...und noch ein Küsschen!

Titel: ...und noch ein Küsschen! Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Roald Dahl
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und Moselweine war ein Teil dieser Bildung, dieser Kultur, nach der er strebte.
    «Ein köstliches Weinchen, nicht wahr?», fragte er mich, beobachtete aber nach wie vor Richard Pratt. Ich stellte fest, dass er ihm jedes Mal, wenn er den Kopf senkte, um einen Bissen Fisch in den Mund zu schieben, einen raschen, verstohlenen Blick zuwarf. Ich konnte fast
fühlen
, wie er auf den Moment wartete, da Pratt den ersten Schluck trinken und mit einem erfreuten, erstaunten, vielleicht sogar verblüfften Lächeln von seinem Glas aufsehen würde. Und dann musste sich ja eine Diskussion entwickeln, die Mike Gelegenheit gab, über das Dorf Geierslay zu berichten.
    Aber Richard Pratt rührte den Wein nicht an. Seine Aufmerksamkeit war voll und ganz von Mikes achtzehnjähriger Tochter Louise in Anspruch genommen. Er hatte sich ihr halb zugewandt, lächelte sie an und erzählte ihr irgendeine Geschichte von einem Küchenchef in einem Pariser Restaurant. Beim Sprechen beugte er sich immer weiter vor, schien in seinem Eifer beinahe mit ihr zusammenzustoßen, und die arme Louise lehnte sich zurück, so weit sie nur konnte, nickte höflich, wenn auch recht verzweifelt, und wich Pratts Blick aus, indem sie starr auf den obersten Knopf seines Smokings sah.
    Wir waren fertig mit dem Fisch, und das Dienstmädchen ging von einem zum anderen, um die Teller abzuräumen. Als sie zu Pratt kam, bemerkte sie, dass er noch nichts gegessen hatte, und blieb unschlüssig stehen. Pratt hob den Kopf, winkte sie fort und begann hastig zu essen. Mit flinken, ruckartigen Bewegungen schaufelte er sich die kleinen, knusprig braunen Fische in den Mund, griff dann nach seinem Glas, leerte es mit zwei raschen Schlucken und wandte sich sogleich Louise Schofield zu, um das unterbrochene Gespräch wiederaufzunehmen.
    Mike hatte alles gesehen. Ich erinnere mich, dass er sehr ruhig und beherrscht dasaß, die Augen auf seinen Gast gerichtet. Sein rundes, freundliches Gesicht schien leicht zu erschlaffen, aber er hielt sich zurück und sagte kein Wort.
    Bald darauf brachte das Dienstmädchen den zweiten Gang, einen großen Rinderbraten. Sie stellte ihn vor Mike auf den Tisch, und er stand auf, um ihn zu tranchieren. Er schnitt die Scheiben sehr dünn und hob sie behutsam auf die Teller, die das Mädchen ihm reichte. Als alle – auch er selbst – versorgt waren, legte er das Tranchiermesser hin, stützte die Hände auf die Tischkante und beugte sich ein wenig vor.
    «So», sagte er zu uns allen, blickte dabei aber nur Richard Pratt an, «und nun der Rotwein. Ich muss ihn erst holen, also entschuldigen Sie mich einen Moment.»
    «Holen, Mike?», fragte ich. «Wo ist er denn?»
    «In meinem Arbeitszimmer, mit aufgezogenem Korken – damit er atmen kann.»
    «Warum im Arbeitszimmer?»
    «Wegen der Zimmertemperatur natürlich. Er steht schon seit vierundzwanzig Stunden dort.»
    «Aber warum gerade im Arbeitszimmer?»
    «Weil das der beste Platz im Haus ist. Richard hat mir bei seinem letzten Besuch dazu geraten.»
    Als Pratt seinen Namen hörte, wandte er sich um.
    «Das stimmt doch, nicht wahr?», fragte Mike.
    «Ja», antwortete Pratt und nickte ernst mit dem Kopf. «Das stimmt.»
    «Auf dem grünen Karteikasten in meinem Arbeitszimmer», sagte Mike. «Das ist die Stelle, die wir ausgesucht haben. Ein zugfreies Plätzchen in einem Raum mit gleichmäßiger Temperatur: Einen Augenblick bitte, ich bin gleich wieder da.»
    Der Gedanke, dass er noch einen Wein auszuspielen hatte, belebte ihn sichtlich, und er eilte beschwingten Fußes hinaus. Eine Minute später kehrte er zurück. Er ging jetzt bedeutend langsamer und trug vorsichtig einen Weinkorb, in dem eine dunkle Flasche lag. Das Etikett war nach unten gekehrt, also nicht sichtbar. «Nun», rief er, als er sich dem Tisch näherte, «wie steht’s mit diesem hier, Richard? Den werden Sie nie erraten!»
    Richard Pratt drehte sich ohne Hast um, schaute zu Mike auf und ließ dann den Blick zu der Flasche in dem kleinen Weidenkorb hinunterwandern. Er hob die Augenbrauen, bis sie einen hochmütigen Bogen bildeten,und schob die Unterlippe vor. Unglaublich anmaßend und hässlich sah er auf einmal aus.
    «Sie kommen nie dahinter», beteuerte Mike. «Nicht in hundert Jahren.»
    «Ein französischer Rotwein?», fragte Pratt herablassend.
    «Selbstverständlich.»
    «Von einem der kleineren Weingüter?»
    «Vielleicht, Richard. Vielleicht auch nicht.»
    «Aber es ist ein guter Jahrgang? Einer der großen Jahrgänge?»
    «Ja,

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