Und oben sitzt ein Rabe
dein Gesicht, und wir können eine Geisterbahn aufmachen. Würde einer deiner lieben Freunde sagen.«
Baltasar bugsierte mit Hilfe kreiselnder Mundbewegungen die Zigarre in den rechten Mundwinkel und sprach an ihr vorbei. »Ich halte mir diese lieben Freunde nicht wegen ihrer Wahrheitsliebe, sondern aus reiner Sentimentalität. Schließlich stellen sie eine seltene Spezies dar.«
Ariane schrieb Anweisungen auf einen Zettel und reichte ihn Evelyn. »Da, Tochter. Das sind die Einkaufsvorschläge. Wenn dir noch was einfällt ...«
Baltasar nahm die Zigarre aus dem Mund und betrachtete die beiden Frauen nachdenklich. »Merkwürdig. Zuerst bereitet sie das opulente Morgenmahl zur Zerbrechung des Fastens, und jetzt geht sie auch noch einkaufen. Etwa freiwillig? Oder hast du was ausgefressen?«
Evelyn schüttelte den Kopf. »Ich war in letzter Zeit brav wie ein Lämmchen.«
Ariane räusperte sich warnend.
»Dann«, murmelte Baltasar, »gibt es nur noch zwei Möglichkeiten, o Tochter meiner Kebse. Entweder du bist krank und leidest an einer Überdehnung des Gemüts, oder du willst heute abend Mutters Auto klauen.«
Evelyn kicherte und sah Ariane vorsichtig von der Seite an. »Darauf läuft es hinaus.«
Ariane äußerte sich nicht. Evelyn zögerte noch einen Moment, dann stand sie auf.
»Okay, ihr zwei Hübschen«, sagte sie, »dann will ich mal. Bis nachher.«
Als die Tür ins Schloß gefallen war, drückte Ariane ihr Zigarillo im Aschenbecher aus und betrachtete Baltasar prüfend. »Sag mal«, begann sie.
Baltasar hob abwehrend die Hand. »Aber nur, wenn es was Unwichtiges ist.«
»Du warst schon charmanter. Ich entsinne mich einer Rede, die du vor einiger Zeit gehalten hast. Darin hieß es, und ich zitiere wörtlich: Nichts, was aus deinem Munde kommt, könnte je unwichtig für mich sein.«
Baltasar nickte. »So ist es, und es ist gut, daß du das einsiehst. Alles, was ich sage, ist so völlig bedeutungslos, daß schon allein die Nichtigkeit es zu einem kosmischen Ereignis macht.«
Ariane verzog den Mund. »Sei bitte mal nur halb so albern. Wir müssen ja nicht dauernd Slapstickdialoge abhalten, oder?«
Baltasar legte die Zigarre zeremoniell in den Aschenbecher, beugte sich vor, setzte die Miene Zerknirschter Ergriffenheit auf, riß Arianes rechte Hand an sich, spitzte seinen fleischigen Mund zu einem Hühnerpopo und hauchte eine Art Geräuschbaiser auf Arianes Fingerspitzen.
»Sprich«, sagte er sanft, »du Hauptpfosten in meinem Seelenpferch, o du Frohlocken des himmlischen Kolibris!«
Ariane brach in schallendes Gelächter aus und tätschelte Baltasars Pfoten. »Ich schaffe es nicht, dir länger als drei Sekunden wirklich böse zu sein.«
Baltasar ergriff seine Zigarre und wedelte mit ihr. »Ich bin ein gewaltiges Ohr, und nichts könnte mich so wonniglich füllen wie der Wohlklang deiner Stimme.«
Ariane nickte. »Eigentlich bist du ausreichend abgefüllt, nach diesem Frühstück, aber nun denn. – Ich habe noch Urlaub zu kriegen. Hast du einen Vorschlag, was man damit machen könnte?«
Ariane leitete die Pressestelle eines großen Industrieverbandes mit Sitz in Bonn. Wegen unaufschiebbarer Dringlichkeiten im Lauf des Jahres hatte sie bisher erst einen Teil ihres Urlaubs nehmen können. Baltasar kaute auf der Zigarre herum; dann nahm er sie wieder aus dem Mund und legte sie fort. »Das ist in der Tat eine schwierige und wichtige Frage«, gab er zu.
Ariane lächelte. »Kann es sein«, sagte sie, wobei sie bemerkte, daß Baltasar den Kopf gesenkt hielt und Krümel auf dem Tischtuch zu zählen schien, »daß du eine einfache Frage aus den falschen Gründen für schwierig hältst?« Sie betrachtete sein krauses Haupthaar, bis er den Kopf hob. Seine grauen Augen blickten in ihre grünen.
»Keine Sorge«, sagte sie, »ich erzähle keinem, daß du eine Seele hast.«
Dann ergriff sie seine Hände und hielt sie einen Moment lang. »Aber es ist eine Kostbarkeit, das zu wissen.«
Er berührte ihre Nasenspitze mit dem Finger. »Kluges Weib, du irrst. Meine Seele ist allgemein bekannt; durch die Art und Weise ihres offenkundigen Fehlens ist sie weiterhin sogar definiert. Ich glaube, daß eine Menge Volks dir gänzlich verschiedene Vorträge über dieses, das meinige, Seelenobjekt halten könnte.«
»Ich weiß, daß du ein diskreter Mensch bist, der lieber seinen Hintern als sein Herz zeigen würde; das Herz ist viel intimer. Aber darum geht es nicht.«
»Und um was geht es?«
»Es geht darum, daß du dir
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