Und verfluche ihre Sünden
einziger Sohn lebt in Westchester. Er vergisst gern, dass er mit Mist an den Stiefeln aufgewachsen ist. Was ich ihm verzeihen könnte, aber er vergisst außerdem noch, seine Mutter zu besuchen. Deshalb sichtet sie alle drei oder vier Monate einen Landstreicher. Wir fahren hin, suchen Haus und Hof ab und schreiben einen Bericht, den wir an den Sohn schicken. Der kommt für ein Wochenende runter, damit sie sich sicherer fühlt, und ein paar Monate später tun wir alle wieder dasselbe.«
Mrs. Bain war reizend und voller Reue und noch besorgter als üblich, während sie um die Scheune liefen, vorbei an Beeten mit Taglilien und Rhabarber, der schon lange als Blumenschmuck diente. Russ zeigte auf den in der späten Nachmittagssonne trocknenden Holzstapel, der zum Teil eingestürzt war.
»Oje«, sagte sie. »Es tut mir leid, Russell, ich schätze, ich bin einfach eine alberne alte Frau. Aber ich habe solche Angst, seit den Mexikanern diese furchtbaren Dinge zustoßen. Ich hab schon daran gedacht, mir eine Waffe zu kaufen.«
Russ nutzte den Rückweg zum Haus, um sie davon zu überzeugen, was für eine außerordentlich schlechte Idee das war. Mrs. Bain hatte wie immer gebacken, ehe sie eingetroffen waren, und nun huschte sie in der Küche herum und servierte Schokolade, Schokokekse und Eistee. Wortlos lenkte Russ Knox’ Aufmerksamkeit auf den Haufen neuerer Post Star -Ausgaben im Altpapierkorb und die Stapel von Krimis, die darauf warteten, zurück zur Bücherei gebracht zu werden.
Als die alte Frau herausfand, dass Knox Kinder hatte, geriet sie in Ekstase. Sie bestand darauf, die Eulenkeksdose zu leeren und der jungen Beamtin den gesamten, in eine Papiertüte verpackten Inhalt für zu Hause mitzugeben.
Russ machte sich allmählich Sorgen, dass es mit der Flucht vor dem Abendessen nicht mehr klappen würde, aber dann klopfte es an der Tür, und Geraldine Bain rief: »Shirley? Lass mich rein.«
Mrs. Bain schloss ihrer Schwägerin auf. Mit siebzig Jahren hatte Geraldine das Pensionsalter längst überschritten, doch sie behauptete ihre Stelle in der Post von Millers Kill durch schiere Entschlossenheit, nicht ein Wort des Tratsches zu verpassen, der in der Stadt kursierte.
»Hallo, Russell«, grüßte sie. »Und wen haben wir hier? Ist das nicht Glenn Hadleys Enkelin, von der ich schon so viel gehört habe?« Sie umarmte ihre Schwägerin, während sie Knox scharf im Auge behielt. »Mach dir keine Sorgen, Liebes«, trompetete sie. »Ich schlafe heute Nacht bei dir.« Russ entdeckte den kleinen Koffer auf der Schwelle und sprang hin, um ihn hereinzutragen. Er schleppte ihn in das Gästezimmer im Obergeschoss und überließ Knox Geraldines Verhör.
Sie waren bei wer-war-der-Vater-von-Hudson-und-Geneva-und-warum-war-er-nicht-hier-bei-ihnen angelangt, als Russ die Treppe wieder herunterkam. Er schnappte sich die Plätzchentüte vom Tisch und drückte sie der verstörten Knox in die Hand. »Wir müssen jetzt aufbrechen, meine Damen. Mrs. Bain, Sie rufen an, wenn etwas Sie nervös macht, ja?«
»Haben es eilig, nach St. Alban’s zu kommen, was?« Geraldine zwinkerte ihm schelmisch zu. »Man sagt, Sie hätten dort einen Schatz.«
»Geraldine«, tadelte Mrs. Bain.
»Was? Er kann doch nicht ewig Trauer tragen, so ein gutaussehender Mann wie er.« Geraldine musterte ihn von Kopf bis Fuß. »Wenn ich nicht alt genug wäre, um Ihre Mutter zu sein, würde ich Reverend Fergusson schon die Stirn bieten.«
Neben ihm produzierte Hadley Knox ein gurgelndes Geräusch. Er beugte sich zu den Damen vor. »Ich weiß nicht, ob Sie sich davon zurückhalten lassen sollten, Geraldine. Sie wissen doch, was man über ältere Frauen sagt.« Dann zwinkerte er ihr zu. Sie brüllte vor Lachen.
Mrs. Bain bedachte ihre Schwägerin mit einem rügenden Blick. »Ach, du und deine Narreteien!« Sie wandte sich ab und sah zu ihm auf. »Russell, Sie geben Warren doch Bescheid, was passiert ist, nicht wahr? Er macht sich immer solche Sorgen um mich.«
»Selbstverständlich.« Er öffnete die Tür.
»Seien Sie artig!« Geraldines Stimme tönte hinter ihm her. »Tun Sie nichts, was ich nicht auch tun würde. Und falls doch, lassen Sie sich nicht erwischen.«
Auf der Fahrt zurück über die Route 17 sah ihn Knox mehrmals von der Seite an, als würde sie ihn gern etwas fragen, traute sich aber nicht. Er nahm an, dass es um ihn und Clare ging, deshalb war er überrascht, als sie fragte: »Finden Sie es nicht irgendwie frustrierend, den ganzen Tag Händchen
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