Und verfluche ihre Sünden
dem Mädchen nicht schlau«, meinte Lyle.
»Frau.« Russ griff nach den Seiten und blätterte zur ersten zurück. »Sie macht sich. Das wird schon.«
»Ich habe zwei Kinder, die älter sind als sie. In meinen Augen macht sie das zum Mädchen.«
»Echt? Dein Jagdgewehr ist älter als Kevin. Das macht ihn noch lange nicht zu einer Remington.«
Kevin erwachte zum Leben. »Sonst noch was, Chief? Soll ich noch mal für Sie nach St. Alban’s fahren?«
»Nein danke, Kevin. Das erledige ich selbst.« Er ignorierte Lyles offensichtliche Belustigung. »Bis morgen.«
Kevin verließ sie mit deutlich größerem Widerstreben, als Hadley gezeigt hatte. Als sie beide allein waren, ließ Russ zu, dass ihn seine Füße zum großen Arbeitstisch trugen. »Schwester Lucias Lieferwagen …« Er verstummte. Schüttelte den Kopf. »Ein Lieferwagen voller mexikanischer Wanderarbeiter wurde im April beschossen.«
Lyle ging zur Tafel und schrieb es auf.
»Irgendwann im März oder April wurde außerdem Rosario de las Cruces in Cossayuharie ermordet.«
»Oder seine Leiche dort abgelegt.«
Russ nickte zustimmend. »Im Mai hatten Hadley und Kevin einen Zusammenstoß mit einem Wagen voller Punta Diablos.«
Lyle kritzelte auf die Tafel.
»Ende Juni wird Amado Esfuentes entführt und seine Wohnung durchsucht.«
»Wenn der Junge zu einer Bande gehörte, fress ich meine Shorts.«
»Darin sind wir uns einig.« Russ tippte mit den Rundschreiben und dem Polizeibericht gegen sein Kinn. »Vielleicht betrachten wir die Sache aus dem falschen Blickwinkel. Was, wenn es kein Machtkampf wäre?«
Lyle zuckte die Achseln. »Keine Ahnung. Mir gefällt die Vorstellung. Sie passt.«
»Sie passt zu de las Cruces. Aber nicht zu Esfuentes. Oder den Schüssen auf den Lieferwagen. Was, wenn wir es mit den Ergebnissen eines Bandenkriegs zu tun haben? Etwas ist passiert. Vielleicht haben die älteren unbekannten Leichen was damit zu tun. Und was wir jetzt erleben, ist die Jagd auf Zeugen.«
Lyle betrachtete einen Moment blinzelnd die Decke. »Möglich.« Er warf einen flüchtigen Blick auf die Tafel. »Ein Zeuge, der Beweise hat. Geld, die 357er Magnum und eventuell diese Liste der Vertriebskanäle.«
»Glaubst du, ich bin auf dem falschen Dampfer? Haben sie bei Clare einfach nur nach Geld gesucht?«
»Nein. Für dich und mich sind zehntausend ein Haufen Schotter, aber wir reden über Männer, die den Stoff en gros importieren. Für die ist das Kleingeld. Der Lohn für den Fahrer.«
»Schweigegeld?«
»Vielleicht. Wie lautet noch mal die Definition eines ehrlichen Politikers?«
Russ lächelte ein wenig. »Jemand, der sich nur von einer Seite kaufen lässt. Ich verstehe.« Er glitt vom Tisch. »Ich fahre rüber nach St. Alban’s. Vielleicht entdecke ich diese mysteriöse Liste, und wir können aufhören, uns im Kreis zu drehen.«
Russ hatte mit der üblichen trägen Zustimmung seines Deputy gerechnet und war verblüfft, als Lyle ihn am Gehen hinderte. »Wir sollten morgen Ben Beagle anrufen. Ihn auf den neuesten Stand bringen und ihm sagen, dass wir Kirche und Pfarrhaus durchsucht, aber nichts gefunden haben.«
»Was? Warum?«
»Darum.« Lyle wirkte todernst. »Wenn die Typen von den Punta Diablos auf die Idee kommen, dass Esfuentes dort etwas versteckt hat, kommen sie selbst rüber.«
VII
»Wonach suchen wir eigentlich?«, erkundigte sich Clare.
»Keine Ahnung.« Russ betrachtete stirnrunzelnd das Bücherregal, das eine Wand ihres Arbeitszimmers einnahm. »Etwas, das nicht das Geringste mit Jesus oder der Episkopalkirche zu tun hat, nehme ich an.«
Sie zog einen der Lindsay-Davis-Krimis aus dem Regal und reichte ihn herüber.
»Oder römischer Geschichte«, ergänzte er. »Klugscheißerin.« Er betrachtete sie mit einer Mischung aus Belustigung und Verzweiflung. Seit seiner Ankunft war er in dieser exzentrischen Stimmung, wie sie es nannte: ruhelos, aufgedreht, gesprächig.
»Es könnte ein Notizbuch sein oder ein Tagebuch oder Heft. Oder einfach nur ein paar zusammengeheftete Blätter.«
»Dann sollten wir im Büro anfangen. Dort steht wesentlich mehr herum als hier.« Sie führte ihn ins Pfarrbüro. Er stöhnte, als er das Wandregal erblickte. Es reichte vom Eingang bis zur Ecke, vom Boden bis zur Decke, und war gefüllt mit Journalen und Büchern, Aktenordnern und Ringheftern.
»Ihr seid eine Kirche. Was, zum Teufel, treibt ihr eigentlich, um so viel Papierkram zu produzieren?«
Sie hätte fast gelacht. »Wir teilen uns die Arbeit.
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