Und vergib uns unsere Schuld - Und vergib uns unsere Schuld
zerschnitten das ferne Rauschen des Verkehrs, kreisten um den Park. Ein Polizeihelikopter stand am kobaltblauen Himmel wie eine dröhnende Libelle. Der Wind trieb Musik herüber, Bässe und Trommeln und ein Saxophon, denn das Wetter war schön, und nur ein paar Meter weiter lagen Männer und Frauen und Kinder auf Decken und hörten Radio und lasen oder spielten Ball.
Van Leeuwen atmete tief, um seinen Magen zu beruhigen.
Es war noch nicht einmal Sommer, und doch roch die Luft für ihn schon kaum merklich nach Herbst, das Gras, die Erde, die Rinde der Bäume. Als verschöben sich die Jahreszeiten und das, woran man sie erkannte, immer mehr. Es wurde jetzt später dunkel, aber für manche kam die Finsternis unabhängig von der Tageszeit. Nur die Krone der Kastanie und der Hubschrauber leuchteten noch im Schein der sinkenden Sonne. Unten, am Fuß des Baums, wo die Schatten tiefer wurden, lag der leblose Körper unter dem weißen Zelt der Spurensicherung.
»Haben Sie so was schon mal gesehen, Mijnheer ?«, fragte der Hoofdagent der für den Park zuständigen Polizeiwache.
Van Leeuwen antwortete nicht. Die Leiche lag da, unter der Kastanie, im feuchten Gras, blass wie Knochensplitter. Der Körper war vollständig bekleidet, mit roten Sneakers, einer weit geschnittenen Hose voller aufgenähter Taschen, und einem grauschwarzen Shirt mit Kapuze. Die kleinen Hände waren schmutzig, mit Erde verschmiert, genau wie das Gesicht. Neben dem Kopf lag eine Wollmütze, orange wie das Oranje des Königshauses. Es gab kaum Blut.
»Er sieht überhaupt nicht tot aus«, sagte Hoofdinspecteur Gallo. »Findest du das nicht komisch ? Da ist jemand so tot, wie er nur sein kann, und trotzdem sieht er nicht tot aus.«
»Das kommt noch«, sagte Van Leeuwen.
Der Commissaris wusste noch nichts, kein Alter, keine Todesursache, aber er wusste, dass er diesen Fall übernehmen würde. Er hätte nicht hier sein müssen. Er hatte den Wagen genommen, weil er am Wochenende mit Simone aufs Land fahren wollte, und er war schon fast zu Hause gewesen, als die Meldung vom Wijkteam Koninginnenweg im 4. Distrikt über den Polizeifunk ging, und trotzdem wäre er weitergefahren, wenn er nicht gehört hätte, dass es sich bei dem Opfer um einen Jungen handelte. Die Hoffnung auf ein neues Bild hatte ihn hergetrieben, die Hoffnung und die Angst davor.
»Wie lange ist er schon tot ?«, fragte er.
»Die Leichenstarre hat bereits die Füße erreicht«, sagte der Arzt.
»Ich sehe gar kein Blut«, sagte Gallo. Er redete langsam, anders als sonst, wie ein Betrunkener, der nüchtern wirken möchte. »Es müsste viel mehr Blut da sein.«
Der Arzt streifte die Zellophanhandschuhe von den Fingern, legte sie in seine Tasche und stand auf. Die Leute von der Spurensicherung stocherten rings um die Leiche im Gras herum, füllten Erde in kleine Tüten, schnitten Grashalme ab, nahmen Fußabdrücke. Der Fotograf machte noch ein paar Bilder, diesmal mit Blitz, dann trat er zurück. Er ging an der Kastanie vorbei, griff plötzlich nach dem Stamm, als verlöre er das Gleichgewicht, und übergab sich.
Gallo konnte den Blick nicht von dem toten Jungen lösen. »Das ist – wer tut so etwas ?«, fragte er. »Wo ist sein –? Dieses Loch ! Das ist schlimmer als alles, was ich – schlimmer als Srebrenica ! Wer kann so etwas tun ?«
»Ist er hier getötet worden ?«, fragte Van Leeuwen.
»Sieh dir mal die abgeknickten Äste an«, sagte Gallo. »Er hat ihn irgendwo hier draußen – er oder es –«
»Oder sie –«, ergänzte der Arzt.
»Er – oder es – oder sie – hat ihn angefallen und dann ins Gebüsch gezerrt. Und dann hat er –«
Der Fotograf wischte sich den Mund mit einem Papiertaschentuch ab. Dann rief er von dort, wo er stand: »Das war kein Mensch !« Er wedelte mit einem Polaroid in der Luft herum. »Menschen tun so etwas nicht !«
»Was ist mit seinem –« Gallo unterbrach sich, suchte nach einem anderen Wort. »Die Fraktur da an der Stirn, die könnte von einem Knüppel stammen. Aber der geöffnete Gaumen, und wo ist sein –« Wieder unterbrach er sich. »Es kann doch nicht weg sein. Das geht doch nicht. Wer tut denn so etwas ? Er war doch noch ein Kind ...«
»Wie alt ?«, fragte Van Leeuwen.
»Zwölf«, antwortete der Arzt, »dreizehn. Vielleicht vierzehn. Schwer zu sagen, so wie die Dinge liegen. Manche sehen älter aus, wenn sie tot sind.«
Van Leeuwen fand, dass sie jünger aussahen. Keiner sah aus, als wäre er alt genug, um tot zu sein. Er trat
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