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Und vergib uns unsere Schuld - Und vergib uns unsere Schuld

Titel: Und vergib uns unsere Schuld - Und vergib uns unsere Schuld Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Claus Cornelius Fischer
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verirrtes Puzzleteilchen auf dem anderen. Van Leeuwen wandte sich ab und ging durch den dunklen Flur in die Küche. Wenig später folgte sie ihm. Er konnte mit ihr reden, aber er musste nicht, denn sie wollte einfach nur in seiner Nähe sein. Er schaltete das Licht an und öffnete den Kühlschrank, um sein Essen herauszuholen, das der Lieferservice am Nachmittag gebracht hatte: Salat in einer Schüssel unter einer Zellophanfolie, Gurken, Tomaten, Zwiebeln, etwas Paprika, Öl natürlich und ein paar Scheiben Mozzarella.
    Als er sich umdrehte, hatte Simone sich schon an den Tisch gesetzt, leise summend, lächelnd, von unendlicher, ewiger Geduld. Auf dem Tisch lag eine Decke aus kariertem Wachstuch, das an allen vier Seiten mit weißen Plastikklammern festgesteckt war. Simones Hände ruhten auf dem Wachstuch wie etwas, das nicht zu ihr gehörte.
    Van Leeuwen holte zwei Pappteller aus dem Küchenschrank, außerdem das Plastikbesteck. Die Zugehfrau hatte die falschen Teller gekauft, nicht die schlicht weißen, ohne Muster, sondern neue, die am Rand mit kleinen Rosen bedruckt waren. »Hast du Hunger ?«, fragte er. »Möchtest du etwas essen ?«
    Simone nickte. Er stellte einen der Teller vor sie hin, und als er ihr das Besteck gab, versuchte sie mit der Gabel die aufgedruckten Rosen von der Pappe zu kratzen und zu essen, bis er den Salat dar- überhäufte. Auf dem Kachelboden neben dem Herd standen mehrere Flaschen Montepulciano, eine war schon angebrochen. An der Backofenklappe des Herds klebte ein Zettel, mit Tesafilm befestigt, darauf stand nur ein Wort in großen roten Buchstaben – Heiß!
    Für Simone verdünnte Van Leeuwen den Wein mit Wasser. Sie aßen schweigend. Er hatte den ganzen Tag über nicht viel zu sich genommen, außer Ei und Schwarzbrot am Morgen, einer Crêpeam Mittag und ungezählten Tassen Kaffee bis zum Abend. Die gut gewürzten Tomatenscheiben explodierten auf seiner Zunge, kühl und saftig, den neutralen Käse spürte er erst, wenn er einen Schluck Wein am Gaumen zergehen ließ. Seine Leute dachten immer, der italienische Wein und das Brot und der Käse aus der Toskana wären ihm heilig, aber er machte aus dem Essen keine Religion. Es ging ihm nur um die Erinnerungen an die guten Zeiten.
    Als er aufgegessen hatte, legte er die Gabel aus der Hand und betrachtete die leere Schüssel. »Es hat einen schrecklichen Mord gegeben«, sagte er, »an einem Jungen, der fast noch ein Kind war. Seit ich bei der Polizei bin, habe ich bestimmt schon fünfzig Leichen gesehen, aber keine war wie diese. Nicht mal Goya hat jemals so etwas Grauenhaftes gezeichnet.« Er sah seine Frau an und fragte sich zum ersten Mal, ob er sie noch beschützen konnte. Und ob das, was ihn immer beschützt hatte, nicht mit ihr verschwand.
    Simone summte leise vor sich hin. Bei dem Wort Kind hielt sie kurz inne, dann aß und summte sie weiter. Als sie den Salat gegessen oder neben den Teller hatte fallen lassen, versuchte sie wieder, die aufgedruckten Rosen zu essen, bis Van Leeuwen ihr Teller und Gabel wegnahm. Zärtlich strich er ihr übers Haar. Sie sah auf, in ihren Augen standen Tränen. »Kein Kind will zu uns kommen«, sagte sie.
    »Dazu sind wir auch schon zu alt«, antwortete er.
    Während des Essens war es draußen vor dem Fenster dunkel geworden. Van Leeuwen nahm noch ein Glas Rotwein mit in sein Arbeitszimmer. Als Simone ihm auch dorthin nachging, führte er sie zurück ins Wohnzimmer, setzte sie auf die Couch und drehte den Ton am Fernseher lauter. Am Fernsehgerät klebte ein Zettel mit der Aufschrift Fernseher . Die Buchstaben waren blau, denn die roten waren für gefährliche Gegenstände reserviert. Van Leeuwen schob eine neue Kassette mit Zeichentrickfilmen in den Videorecorder. Simone versank in den Anblick der bunten Figuren auf dem Bildschirm und kümmerte sich nicht mehr um ihn.
    Er ging zum Telefon auf der Kommode im Flur. Der Zettel, der neben dem Apparat auf dem Holz klebte, verkündete nicht nur TELEFON in großen Buchstaben, sondern auch noch Van Leeuwens Nummer im Präsidium, die der Pflegerin und die seines eigenen Anschlusses, falls jemand zurückrufen sollte. Er wählte Ellens Nummer. Er wartete, bis der Anrufbeantworter seinen Meldetext abgespult hatte, dann sagte er: »Van Leeuwen hier. Sie haben meine Frau allein gelassen, obwohl Sie Anweisung hatten, in jedem Fall bei ihr zu bleiben, bis ich nach Hause komme. Sie sind eine gute Pflegerin, und meine Frau mag Sie, aber wenn Sie das noch einmal tun

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