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Und wir scheitern immer schöner

Titel: Und wir scheitern immer schöner Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dirk Bernemann
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umgestaltet, ganz zärtlich unter ungewaschenem Stinkebett und ich werde frisch gefickt auf dem Rücken liegend gefragt: «Sag, schläfst du auf deinem Bauch?» Meine Antwort: «Nö!» Ihre Frage daraufhin: «Darf ich es dann tun?» Meine Worte: «Sicha!» Die Auferstehung der Brachialromantik. Magie in Zimmern, in denen man keine erwartet. Das Beste an Paula ist Paula selbst. Das Beste an uns sind wir zwei. Alles ist von einer Güte und Zärtlichkeit umspielt, die mir die Tränen in die Nähe meiner Augen schiebt.
     
    So begann es also mit Paula, und von diesem Zeitpunkt an führten wir eine spontane und ausfüllende Beziehung. Sie bestand überwiegend aus Kommunikation, Kultur und viel Sex. Wir redeten wirklich viel über unsere Vergangenheit und die unsere Vorstellungen über die Zukunft. Sehr häufig waren wir in Alternativclubs zu Gast und soffen deren Bars leer. Außerdem liebten wir beide Konzerte. Und wenn uns die Leidenschaft überkam, fickten wir, bis es wehtat. Und es tat häufig mal weh.
     
    Paula war perfekt für mich. Kumpel und Sexpartner in Personalunion. Sie stellte für mich die allumfassende feminine Persönlichkeitsstruktur dar. Wir gingen tief in unseren Gesprächen, und da war noch mehr schutzbedürftige Weiblichkeit in ihr, als ich anfangs vermutete. Aber ich war für sie da, wann immer sie meine Nähe brauchte. Es war ganz anders als mit früheren Partnerinnen, bei denen ich immer dachte, meine Partnerin darf ruhig 'ne eigene Meinung haben, soll aber auch stark genug sein, diese für sich zu behalten. Jetzt war da Fieber, jeden Tag. Die Allmacht der Liebe und deren Fesseln. Meine Hände gebunden, wie all meine Gedanken. Gebunden an sie. Die eine, die Vollkommene. Paula.
     
    Wir stellten immer mehr Gemeinsamkeiten her und fest. Bier trinken, Zigaretten rauchen. Sich ins Delirium ficken. Sitzen und gucken. Leute beobachten. Schlechte Witze erfinden und schlechte Witze sein.
     
    Auf lovely Paulas Balkon sitzend, hatten wir mal den gemeinsamen Wunsch, ein Gewehr zu besitzen. Einfach aus der Idee heraus, Leute aus dem sichersten aller Hinterhalte heraus zu liquidieren. Peng, der Altnazi von nebenan, peng, die fiese, verbeulte Haushälterin von Paulas Nachbar, Peng, das freche Kind, das andere Kinder anspuckt. Tong, Schmerz für alle, die nicht sind wie wir. Wir wünschten uns Gewehre, Granaten und Raketen und verbrachten einen wunderbaren Sommer voller kranker Gewaltphantasien. Passanten strandeten vor dem Balkon und jeder, der nicht wir oder zumindest so wirr war, dem war eh nicht zu helfen. These were the times ...
     
    Irgendeinen Mittwoch dann wollte ich sie in ihrer Wohnung besuchen. Als ich ankam, sah ich nur ihre großen verheulten Augen und trat in eine erbärmliche Stimmung ein. Paula saß auf einem Stuhl in der Küche, und aus ihren rot geflennten Augen tropfte salziges Wasser. Die Tränenflut meiner Freundin ließ mich verzweifeln, denn ich kam nicht zu ihr durch. Sie ließ keine Umarmung zu und keinen Trost. Ich versuchte es mit Worten und mit Küssen, aber nichts davon entsprach ihrem Wunsch.
     
    Nach etwa zwei Stunden zermürbender Wartezeit war sie ansprechbar. Zwischen Schluchzen, Weinen und Luftholen hörte ich nun nur: «Ich bin schwanger, scheiße schwanger ... kann kein Kind ... will nicht ...» Ich war vollständig verwirrt. In einem Augenblick baute sich vor mir die mystische Welt der Vaterwerdung auf, die gleichzeitig von Paula zerstört wurde. Sie war beim Arzt gewesen und für eine offizielle Abtreibung war es bereits zu spät. Ihre Idee war es dann, dass ich die Abtreibung vollziehe – und zwar mit 'ner Stricknadel. Diese Idee war ja wohl vollständig durchgeknallt.
     
    Ich wollte einfach gehen, aber sie stellte sich mir in den Weg. Sie sagte, sie liebe mich. Unendlich und noch mehr. Die Sache wäre doch auch in meinem Sinne. So 'ne Scheiße! Abstrakte Verstrickung der Wirklichkeit. In ihren verheulten Augen war aber ein hohes Maß an Liebe zu erkennen. Liebe und Hilflosigkeit. Damit nahm sie mich immer gefangen und das wusste sie. Schließlich gab ich nach. Und es folgten ein fragiles Lächeln ihrerseits und Kopfschmerz erzeugende Zweifel meinerseits.
     
    Sie holte aus der Küche die Stricknadel und gab sie mir in die Hand. Das Ding war ungefähr zwanzig Zentimeter lang. Damit sollte ich das Zellending herausholen. Wir trafen also die Vorbereitungen für den Eingriff.
     
    Ich ging in die Küche und setzte auf ihrem alten Herd in einem kaputten Topf Wasser auf.

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