Underground: Ein Jack-Reacher-Roman (German Edition)
dorthin geflogen. Dann ist er Susan nachgefahren – fünf bis zehn Autos hinter ihr, wie man’s eben macht. Das war in Ordnung, bis der Verkehr ins Stocken geriet. Im Stau sind fünf bis zehn Wagen Abstand so schlimm wie eine Meile. Man sitzt fest, hat vielleicht einen großen Geländewagen vor sich, der einem die Sicht nimmt. Er hat nichts gesehen, ist jedoch bei Susan geblieben. Er befand sich in dem Zug, hat ein NBA -Trikot getragen. Als ich ihn wiedergesehen habe, ist er mir gleich bekannt vorgekommen. Aber das konnte ich nicht überprüfen, weil ich ihm im nächsten Augenblick ins Gesicht geschossen habe. Danach war es nicht mehr gut zu erkennen.«
Wieder Schweigen. Dann fragte Sansom: »Wo war Susan also um Mitternacht?«
Ich sagte: »Das müssen Sie sich ausrechnen. Zeit, Entfernung, Durchschnittstempo. Besorgen Sie sich eine Landkarte, ein Lineal, Papier und Bleistift.«
Jacob Mark stammte aus Jersey. Er begann von State Troopers zu erzählen, die er kannte. Und davon, wie die Troopers helfen würden. Sie waren Tag und Nacht auf der I-95 unterwegs. Sie kannten sie wie ihre Westentasche. Sie hatten Überwachungskameras. Ihre Aufnahmen konnten die Berechnungen ergänzen. Auch die Autobahnmeisterei würde kooperieren. Alle schmiedeten eifrig Pläne. Auf mich achtete niemand mehr. Ich ließ mich aufs Kissen zurücksinken, während die anderen nacheinander hinausgingen. Springfield als Letzter. Er blieb an der Tür stehen, starrte mich forschend an und fragte: »Was empfinden Sie, wenn Sie an Lila Hoth denken?«
Ich antwortete: »Ich fühle mich gut.«
»Tatsächlich? Mir ginge es anders. Sie sind um ein Haar von zwei Frauen erledigt worden. Das war schlampige Arbeit. So was macht man richtig oder gar nicht.«
»Ich hatte nicht viel Munition.«
»Sie hatten dreißig Schuss. Sie hätten Einzelfeuer wählen sollen. Diese kurzen Feuerstöße waren ein Ventil für Ihren Frust. Sie haben sich von Emotionen hinreißen lassen. Davor hatte ich Sie gewarnt.«
Er musterte mich sekundenlang ausdruckslos. Dann trat er auf den Korridor hinaus, und ich sah ihn nie wieder.
Zwei Stunden später kam Theresa Lee zurück. Sie brachte eine große Tragetasche mit und erklärte, das Krankenhaus brauche mein Zimmer, deshalb bringe das NYPD mich in einem Hotel unter. Sie hatte mir Klamotten gekauft, die sie mir zeigte: Schuhe, Socken, Jeans, Boxershorts und ein Hemd, alle in denselben Größen wie die Sachen, die das Krankenhauspersonal verbrannt hatte. Schuhe, Socken, Jeans und Boxershorts waren in Ordnung. Das Hemd fand ich ein bisschen komisch. Es bestand aus weicher, verwaschener Baumwolle, die fast eine Art dünnen Filz bildete. Es war ziemlich eng, hatte lange Ärmel und wurde am Hals mit drei Knöpfen geschlossen. Es glich einem altmodischen Unterhemd. Darin würde ich wie mein Großvater aussehen. Oder wie ein kalifornischer Goldgräber aus dem Jahr 1849.
»Danke«, sagte ich.
Sie erzählte mir, die anderen seien noch dabei zu rechnen. Sie stritten über Susans Route von der Turnpike zum Holland Tunnel. Die Einheimischen benützten eine Abkürzung, die entgegen der Straßenbeschilderung in eine falsche Richtung zu führen schien.
Ich sagte: »Susan war nicht von hier.«
Sie stimmte mir zu. Auch sie glaubte, Susan sei der ausgeschilderten Route gefolgt.
Dann sagte sie: »Das Bild werden sie nicht finden, weißt du.«
Ich fragte: »Glaubst du?«
»Oh, sie werden den USB -Stick finden, klar. Aber sie werden behaupten, er sei defekt gewesen oder überfahren und beschädigt worden oder habe letztlich doch nichts Belastendes enthalten.«
Ich gab keine Antwort.
»Verlass dich drauf«, sagte sie. »Ich kenne Politiker, und ich kenne die Regierung.«
Dann fragte sie: »Was empfindest du, wenn du an Lila Hoth denkst?«
Ich antwortete: »Letztlich bereue ich nur, Susan in der U-Bahn angesprochen zu haben. Ich wollte, ich hätte ihr ein paar Stationen länger Zeit gelassen.«
»Ich habe mich geirrt. Sie hätte unmöglich darüber hinwegkommen können.«
»Ganz im Gegenteil«, widersprach ich. »Ist in ihrem Auto eine Socke gefunden worden?«
Lee ging in Gedanken die FBI -Liste durch. Dann nickte sie.
»Gewaschen?«, fragte ich.
»Ja«, sagte sie.
»Stell dir also vor, wie Susan aufbricht. Sie durchlebt einen Albtraum. Aber sie weiß noch nicht genau, wie schlimm er ist. Sie will nicht glauben, dass er so schrecklich sein könnte, wie sie befürchtet. Vielleicht ist alles nur ein grausiger Scherz oder eine leere
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