Unearthly. Dunkle Flammen (German Edition)
Wesentlichen wie jede andere Schule auch sein würde. Mannomann, hab ich mich vielleicht geirrt. Diese Highschool ist innen genauso schick und edel wie außen. Fast alle Klassenzimmer haben hohe Decken und bodentiefe Fenster mit Ausblick auf die Berge. Die Cafeteria wirkt wie eine Mischung aus Skihotel und Kunstmuseum. In praktisch jeder Nische und jedem Eckchen hier gibt es Bilder, Wandmalereien und Collagen. Es riecht sogar besser als an gewöhnlichen Schulen: nach Kiefern und Kalkstein und einer aromatischen Mixtur teurer Düfte. Im Vergleich hierzu kommt mir meine Betonklotzschule in Kalifornien vor wie ein Gefängnis.
Dazu kommt, dass ich offensichtlich ins Land der schönen Menschen gestolpert bin. Dabei dachte ich, ich komme aus dem Land der schönen Menschen. Das kennt man doch aus dem Fernsehen, wenn dort ein Foto von einem Promi aus Highschool-Zeiten gezeigt wird, und derjenige darauf total normal aussieht, kein bisschen attraktiver als gewöhnliche Leute. Und man fragt sich, was ist da bloß passiert? Wieso ist Jennifer Garner jetzt derart sexy? Ich will es euch sagen: Geld ist passiert. Kosmetische Gesichtsbehandlungen, schicke Frisuren, Designerklamotten und ein Personal Trainer, das ist passiert. Und die Kids von der Jackson Hole High haben genau diesen Promi-Touch, abgesehen von den wenigen hier und da, die wie echte Cowboys aussehen, bis hin zu den Stetson-Hüten, den Perlmuttknöpfen an ihren Westernhemden, den zu engen Wrangler-Jeans und den abgewetzten Cowboystiefeln.
Außerdem ist das Kursangebot ziemlich abgefahren. Klar kann man einen Kunstkurs belegen, wenn man zeichnen lernen will, aber es gibt auch «Studio Art für Fortgeschrittene», einen Kurs, der einen auf den Eintritt in Jackson Holes lebhafte Künstlerszene vorbereitet. Es gibt einen Kurs mit dem Titel «Motorsport», wo man lernt, wie man das eigene Motorrad, das eigene Quad oder Schneemobil tunen kann. Es gibt Vorbereitungskurse zur Gründung des eigenen Unternehmens, man kann lernen, sich sein eigenes Traumhaus zu entwerfen, man kann seine Leidenschaft für die französische Küche vertiefen oder erste Schritte in Richtung des Ingenieurberufs machen. Und nur für den Fall, dass jemand eine Fluglizenz erwerben will, bietet die Schule einige Kurse über Aerodynamik an. Auf der Jackson Hole High steht einem die ganze Welt offen.
Es wird nur bestimmt eine ganze Weile dauern, bis man sich daran gewöhnt hat.
Ich hatte gedacht, die anderen Schüler würden sich freuen, mich zu sehen, oder wären wenigstens neugierig. Schließlich bin ich Frischfleisch, noch dazu aus Kalifornien, und vielleicht könnte ich den Eingeborenen ein bisschen Großstadtflair vermitteln. Schon wieder ein Irrtum. Größtenteils ignorieren mich die anderen völlig. Nach drei Schulstunden (Trigonometrie, Französisch III, College-Vorbereitungskurs Chemie), während derer sich nicht mal einer ein schlichtes Hallo abgerungen hat, würde ich mich am liebsten ins Auto werfen und in einem Rutsch durch bis Kalifornien fahren, wo ich seit Ewigkeiten alle kenne und alle mich kennen, wo genau jetzt meine Freunde und ich über unsere Ferienerlebnisse reden und unsere Stundenpläne vergleichen würden. Wo ich hübsch und beliebt wäre. Wo das Leben normal ist.
Aber dann sehe ich ihn.
Er steht mit dem Rücken zu mir in der Nähe meines Garderobenschranks. Wie ein Stromschlag durchzuckt es mich, als ich seine Schultern erkenne, sein Haar, seine Kopfform. In null Komma nichts bin ich in der Vision, sehe ihn sowohl in der schwarzen Fleece-Jacke unter den Bäumen als auch in Wirklichkeit, genau hier vor mir auf dem Schulkorridor; die Vision erscheint mir wie ein dünner Schleier über der Realität.
Ich mache einen Schritt auf ihn zu, mache den Mund auf und will seinen Namen rufen. Da fällt mir ein, dass ich ja nicht weiß, wie er heißt. Es ist wie immer; er scheint mich trotzdem zu hören und will sich umdrehen, und für eine Sekunde setzt mein Herzschlag aus, denn ich wache nicht auf, sondern sehe jetzt sein Gesicht; sein Mund verzieht sich zu einem Lächeln, als er mit dem Typen neben ihm herumalbert.
Er schaut auf, und unsere Blicke begegnen sich. Der Korridor löst sich in Luft auf. Da sind nur er und ich, im Wald. Die Vision ersteht hinter ihm, das Feuer auf dem Hügel rast auf uns zu, schneller, als es in Wirklichkeit überhaupt möglich wäre.
Ich muss ihn retten, denke ich.
Da falle ich in Ohnmacht.
Als ich zu mir komme, sitzt ein Mädchen mit langem,
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