Unearthly. Dunkle Flammen (German Edition)
funkelt mich wütend an.
«Wir sind in Wyoming, Blödie. Weit haben wir es nicht mehr.»
«O ja, juchhu», sagt er und greift wieder zu den Ohrstöpseln.
Der wird mich noch eine ganze Weile hassen.
Jeffrey war ein total pflegeleichter Junge, ehe er das mit dem Engelszeug herausfand. Aber wenn einer weiß, wie das ist, dann ich. Den einen Moment ist man noch vierzehn und unbeschwert – erfolgreich, beliebt, witzig –, und plötzlich ist man ein Freak mit Flügeln. Das dauert seine Zeit, bis man sich daran gewöhnt hat. Erst vor einem Monat hat er erfahren, dass ich meine kleine Mission vom Himmel erhalten habe. Und jetzt zerren wir ihn nach Nirgendwo, Wyoming, noch dazu im Januar, mitten im Schuljahr.
Als Mama das mit dem Umzug verkündete, hatte er geschrien: «Ich komme nicht mit!» Er hatte die Fäuste geballt, als wolle er auf etwas einschlagen.
«Und ob du mitkommst!», entgegnete Mama und warf ihm einen kühlen Blick zu. «Und es würde mich nicht überraschen, wenn du in Wyoming auch deine Aufgabe erhältst.»
«Mir doch egal», meinte er. Dann drehte er sich um und funkelte mich auf eine Weise an, die mich heute noch zusammenzucken lässt, wenn ich daran denke.
Mama dagegen scheint total auf Wyoming abzufahren. Sie ist inzwischen schon ein paarmal hier gewesen, hat nach einem Haus gesucht, Jeffrey und mich an unserer neuen Schule angemeldet und hat dafür gesorgt, dass der Übergang von ihrem Job bei Apple in Kalifornien und der Arbeit, die sie nach dem Umzug von zu Hause für die Firma machen wird, reibungslos gelingt. Stundenlang hat sie sich über die wunderschöne Landschaft ausgelassen, die jetzt Teil unseres Alltags sein wird, die frische Luft, die Tiere, das Wetter und wie sehr wir den Schnee im Winter lieben werden.
Deshalb fährt Jeffrey auch bei mir mit. Er hält es einfach nicht aus, wenn Mama ihn damit zutextet, wie toll alles wird. Bei unserem ersten Tankstopp ist er aus ihrem Auto gestiegen, schnappte sich seinen Rucksack, kam zu mir rüber und setzte sich in meinen Wagen. Ohne weitere Erklärung. Ich schätze, er hat beschlossen, dass er sie im Moment mehr hasst als mich.
Wieder reiße ich an den Ohrstöpseln.
«Ich hab das schließlich auch nicht gewollt, weißt du», sage ich zu ihm. «Tut mir leid; mehr kann ich dazu nicht sagen.»
«Ja, ja, klar.»
Mein Handy klingelt. Ich fische es aus meiner Tasche und werfe es Jeffrey zu. Verblüfft fängt er es auf.
«Kannst du mal für mich rangehen?», frage ich zuckersüß. «Ich fahre.»
Er seufzt, klappt das Handy auf und hält es sich ans Ohr.
«Ja», sagt er. «Okay. Ja.»
Er klappt es wieder zu.
«Sie sagt, wir kommen jetzt zum Teton-Pass. Sie will, dass wir an dem Aussichtspunkt halten.»
Wie aufs Stichwort biegen wir um eine Kurve, und vor uns öffnet sich unter einer Kette niedriger Hügel und gezackter blauweißer Berge das Tal, in dem wir bald wohnen werden. Die Aussicht ist phantastisch, wie ein Panaroma auf einem Kalender oder einer Postkarte. Mama biegt ab zum Aussichtspunkt, und ich fahre vorsichtig hinterher, um dann neben ihr zu halten. Sie springt förmlich aus dem Wagen.
«Ich glaube, sie will, dass wir aussteigen», sage ich zu Jeffrey.
Er starrt bloß aufs Armaturenbrett.
Ich mache die Autotür auf und trete hinaus in die Gebirgsluft. Es ist, als betrete ich einen Gefrierschrank. Ich ziehe mir meine plötzlich viel zu dünne Kapuze über den Kopf und vergrabe die Hände tief in den Jackentaschen. Beim Ausatmen sehe ich meinen Atem davonschweben.
Mama geht zu meinem Auto und klopft an die Scheibe, hinter der Jeffrey sitzt.
«Komm raus da!», kommandiert sie in einem Tonfall, der klarmacht, dass sie keinen Widerspruch duldet.
Sie winkt mich zum Hügelkamm, wo auf einem großen Holzschild ein Comic-Cowboy zu sehen ist, der ins darunterliegende Tal deutet. Hallo Fremder , steht auf dem Schild. Dort drüben liegt Jackson Hole. Der letzte Rest vom alten Westen . Zu beiden Seiten eines silbrig glänzenden Flusses liegen verstreut einige Gebäude. Das ist Jackson, unsere neue Heimatstadt.
«Da drüben liegt der Teton- und dort der Yellowstone Nationalpark.» Mama deutet zum Horizont. «Da müssen wir im Frühjahr hin und alles gründlich anschauen.»
Jeffrey tritt zu uns auf den Hügelkamm. Er trägt keine Jacke, nur Jeans und T-Shirt, aber es sieht nicht so aus, als ob er friert. Er ist zu wütend, um zu zittern. Sein Blick ist völlig leer, als er unsere neue Umgebung mustert. Eine Wolke schiebt sich vor die
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