Unerwartet (German Edition)
abartig gute Laune heute und ich bin schon seit einem halben Jahr größer als du.“
Mit grimmigem Gesicht widmet er sich wieder seiner Schüssel Cornflakes und geht dazu über, mich zu ignorieren.
„Und du bist so liebenswert und freundlich, dass es mir das Herz wärmt.“
Ich nehme mir ein Glas Orangensaft aus dem Kühlschrank und setze mich zu ihm an den Tisch.
„Was willst du, Kati?“
Entnervt sieht er von der Cornflakespackung auf, die scheinbar sehr interessante Lektüre darstellt.
„Ich wollte mich nur ein bisschen mit dir unterhalten.“
„Okay, wenn du unbedingt willst. Ich brauche neue Fußballschuhe.“
Nicht gerade das, was ich hören wollte.
„Sollen wir zusammen einkaufen oder möchtest du alleine gehen?“
„Ich gehe mit Stefan. Er braucht auch welche und sein großer Bruder bekommt Personalrabatt im Sportgeschäft.“
„Kommst du mit fünfzig Euro aus?“
Die Antwort kenne ich jetzt schon, doch man kann ja mal fragen.
Ben lacht höhnisch.
Ich liebe meinen Bruder, aber momentan könnte ich ihn permanent mit einem Klaps auf den Hinterkopf begrüßen. Seine pubertäre Arroganz ist extrem nervtötend.
„Versuchs mal mit Hundert“, erwidert er schnippisch.
„Versuchs du es mal mit siebzig oder gar keinen neuen Schuhen. Ich habe keine Gelddruckmaschine.“
Und ich hasse es, wenn ich wie ein Elternteil klingen muss, auch wenn ich das genaugenommen bin.
Bevor wir noch weiter aneinandergeraten, nehme ich meinen Saft und gehe auf die Terrasse. Seufzend stelle ich mich an die Brüstung und genieße den Ausblick, der bis zum Stadtwald reicht.
„Ich hätte nie gedacht, dass ich mal in die sechste Etage ziehe“, begrüßt mich Jakobs dunkle Stimme.
Ich drehe mich nicht um, sonst könnte er mein Lächeln sehen.
„Warum nicht? Klingt zu sehr nach Plattenbau, statt dekadent großer Dachgeschosswohnung für einen Single, in einem Apartmenthaus in der Fußgängerzone?“
Direkt neben mir kann ich ihn spüren, unsere Arme berühren sich fast, unsere Beine sind nur durch eine hüfthohe Mauer getrennt.
„Wann hat dir eigentlich zum letzten Mal jemand den Hintern versohlt?“
Seine Worte fahren mir direkt ins Mark. Ich wage einen Blick zur Seite und sehe seine zuckenden Mundwinkel.
„Bisher noch niemand. Meine Eltern waren viel zu sehr auf sich selbst fixiert, um überhaupt so viel Gefühl für uns aufzubringen. Und meine Exfreunde waren devote, kleine Weicheier, die dachten, sie könnten sich direkt vom Hotel Mama bei mir ins gemachte Nest setzen.“
Jakob wirft einen Blick in meine Wohnung und traut sich dann, mir kurz über die Wange zu streicheln.
„Du stehst ganz schön unter Strom, Katharina. Was kann ich für dich tun?“
„Nichts, Jakob. Musst du nicht zur Arbeit?“
„In vier Stunden. Was kann ich für dich tun?“
„Falls es Pillen gegen die Pubertät gibt, könntest du mir die besorgen. Ansonsten kannst du nichts für mich tun, wofür ich jetzt noch Zeit habe.“
Für einen Moment gönne ich mir den Blick in sein offenes, warmes und so hübsches Gesicht.
„Ich muss duschen“, sage ich, und wende mich ab, um auf wackligen Knien in meine Wohnung zu gehen.
Er hat mich gefragt, was er für mich tun kann. Für mich. Ich bin mir nicht sicher, ob mir jemals jemand diese Frage gestellt und es auch so gemeint hat.
Ich liebe Steffi. Für alles, was sie für uns getan hat und immer noch tut, aber gerade geht sie mir schwer auf den Zeiger. Jakobs Schwester Daniela war vor einer Stunde hier und hat sich um die Stelle beworben. Da nichts gegen sie spricht, habe ich sie für drei Vormittage in der Woche eingestellt. Natürlich wollte Steffi wissen, woher sie kommt, weil wir noch nicht mal ein Stellenangebot inseriert haben.
„Du hast mit unserem neuen Nachbarn gesprochen?“, löchert sie mich.
„Ja, habe ich. Wir teilen uns eine Etage. Natürlich kommt man da ins Gespräch.“
Ich will mich in die Backstube verziehen, damit ich an meinem kleinen Schreibtisch ein paar Rechnungen bezahlen und etwas durchatmen kann, doch Steffi folgt mir auf dem Fuß.
„Erzähl! Wie ist er so?“
Er ist witzig, liebevoll, aufmerksam und ein verflucht guter Fick. Aber das sage ich ihr natürlich nicht. Das sollte ich noch nicht mal denken. Er ist außerdem zu alt für mich. Theoretisch. Meine Klit ist da ganz anderer Meinung. Die fängt nur beim kleinsten Gedanken an gestern Abend wieder an zu pochen.
„Er ist nett“, sage ich knapp. „Hast du keine Kundschaft?“
„Die ist
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